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TAG DES FLÜCHTLINGS 1999

Die erneute Verschärfung des
Asylbewerberleistungsgesetzes 1998

Georg Classen

Materialheft zum Tag des Flüchtlings am 1. Oktober 1999

Herausgeber: PRO ASYL, Arbeitsgemeinschaft für Flüchtlinge
mit freundlicher Unterstützung von: Deutsche Stiftung für UNO-Flüchtlingshilfe e. V., Deutscher Caritasverband e. V., Interkultureller Beauftragter der Ev. Kirche in Hessen und Nassau, Kirchlicher Entwicklungsdienst der Ev. Kirche in Deutschland, durch den ABP, Land Hessen

Der Tag des Flüchtlings findet im Rahmen der Woche der ausländischen Mitbürger/ Interkulturellen Woche (26. September bis 2. Oktober 1999) statt und wird von PRO ASYL in Zusammenarbeit mit dem Ökumenischen Vorbereitungsausschuß zur Woche der ausländischen Mitbürger vorbereitet.

INHALT

Im September 1997 legte das Land Berlin im Bundesrat den Entwurf für eine weitere Verschärfung des Asylbewerberleistungsgesetzes vor. Bayern, Baden-Württemberg und Niedersachsen steuerten weitere Verschärfungsvorschläge bei. Nachdem im März 1998 der Bundestag in erster Lesung einen Gesetzesentwurf verabschiedet, der für mindestens 250.000 geduldete Flüchtlinge, darunter mehr oder minder alle geduldeten bosnischen Kriegsflüchtlinge, die Streichung sämtlicher Hilfen nach dem Gesetz bedeuten würde, bricht eine Welle des Protestes bei Flüchtlingsorganisationen, Wohlfahrtsverbänden und Kirchen los. Immerhin wird die allerschlimmste Variante verhindert. Trotzdem sieht das schließlich verabschiedete Gesetz in einem neuen Paragraphen 1 a eine »Mißbrauchsregelung« vor. Die Leistungen nach dem Gesetz sollen auf »das im Einzelfall Unabweisbare« eingeschränkt werden. Für Menschen, die angeblich nur deshalb nach Deutschland eingereist sind, um hier Leistungen zu beziehen und für Menschen, die durch ihr Handeln ihre rechtlich zulässige Abschiebung verhindern, z. B. durch die Verschleierung ihrer Identität oder fehlende Mitwirkung bei der Beschaffung eines Passes.

Die zum 1. September 1998 in Kraft getretene Neuregelung wird von den Bundesländern mit unterschiedlicher Härte umgesetzt. Das Land Berlin als Initiator der Verschärfung hat auch die weitaus brutalste Praxis.

Die Hauptstadt des Zynismus:
aushungern, obdachlos aussetzen, kriminalisieren

Für neu ankommende Kriegsflüchtlinge aus dem Kosovo war im Herbst und Winter 1998/ 99 bei den Berliner Sozialämtern die Verweigerung sämtlicher Hilfen eher die Regel als die Ausnahme. Allenfalls Unterkunft wurde – längst nicht in allen Fällen – gewährt, es gab in der Regel aber keine Kleidung, keine Hygieneartikel, keinen Pfennig Bargeld (und keine Fahrscheine für den Nahverkehr), vielfach nichts zu Essen und keine Krankenscheine. Entsprechende Leistungseinschränkungen wurden auf serbische Deserteure und palästinensische Flüchtlinge aus dem Libanon angewandt.

Die Flüchtlinge werden ausgehungert, obdachlos ausgesetzt, auch die ärztliche Versorgung wird verweigert. Sie werden durch den Entzug jeglichen Bargeldes gezwungen, mit Bus und Bahn schwarzzufahren – um zur Ausländerbehörde, zum häufig am anderen Ende der Stadt gelegenen zuständigen Sozialamt oder zu einer Beratungsstelle zu gelangen. Zahlungsaufforderungen der Verkehrsbetriebe sowie Strafbefehle häufen sich. Die Flüchtlinge werden kriminalisiert – damit schafft man auch Gründe für eine Abschiebung.

Viele Sozialämter unterstellten Kriegsflüchtlingen aus dem Kosovo generell, sie seien nur wegen der Sozialhilfe nach Deutschland gekommen. Zum Beweis wurde angeführt, sie hätten ja in einem auf der Reise nach Deutschland durchquerten Land bleiben können und seien nur wegen der Sozialhilfe nach Deutschland weitergereist. Diese Argumentation wurde nunmehr vom Oberverwaltungsgericht Berlin als unzulässig zurückgewiesen, da sie im Ergebnis eine vom Gesetzgeber nicht gewollte Drittstaatenregelung für geduldete Kriegsflüchtlinge wäre, die z. B. einen Leistungsausschluß auch aller auf dem Landweg eingereisten bosnischen Flüchtlinge bedeuten würde (OVG 6 SN 230.98 v. 4.2.99). Die Senatssozialverwaltung erklärte dazu allerdings, der Beschluß sei eine »Einzelfallentscheidung«, eine Änderung der Praxis der Sozialämter sei nicht erforderlich (TAZ v. 11.2.99). Soll man dies als Aufforderung zum Rechtsbruch verstehen? Die Unterstellung des Verhinderns der Abschiebung bzw. Verschleierns der Identität hat demgegenüber in der Praxis eine geringere Bedeutung. Auch dies wurde allerdings z. B. Kosovo-Kriegsflüchtlingen vielfach unterstellt, obwohl ohnehin keine Abschiebungen in die BR Jugoslawien möglich sind. Wenn die Flüchtlinge keinen Paß, sondern nur einen Personalausweis besitzen, wird generell unterstellt, dieses Dokument sei nicht fälschungssicher und könne daher gefälscht sein. Die Ausländerbehörde stempelt deshalb – trotz erkennungsdienstlicher Behandlung und obwohl im konkreten Fall keine Anhaltspunkte für eine Fälschung vorliegen – »Identität ungeklärt« in die Duldung.

Das Sozialamt schickte Kosovo- Flüchtlinge zur jugoslawischen Botschaft, dort sollten sie als Identitätsnachweis einen Paß beantragen – und strich solange erstmal alle Leistungen. Die Botschaft stellt Flüchtlingen aber keine Pässe, sondern lediglich ein Paßersatzpapier zur einmaligen Einreise in die BR Jugoslawien im Rahmen des Rückübernahmeabkommens aus. Und sie nimmt Anträge nur gegen Vorlage des Original- Personalausweises entgegen. Die Ausweise gibt die Ausländerbehörde aber nicht heraus, um zwecks Abschiebung gegebenenfalls selbst den Antrag auf den Paßersatz bei der Botschaft stellen zu können.

Das Berliner Verwaltungsgericht verlangte in einem solchen Fall als Voraussetzung der Leistungsgewährung die Vorsprache des Flüchtlings bei der Botschaft mit einer von der Ausländerbehörde beglaubigten Kopie des Personalausweises. Die Botschaft akzeptierte aber keine beglaubigten Kopien. Der betroffene Flüchtling war schon über zwanzigmal bei der Botschaft und erhielt dennoch mehr als vier Monaten vom Sozialamt Wedding für sich, seine Frau und zwei Kinder nichts zu essen, keine Krankenscheine, keine BVG- Fahrscheine und keinen Pfennig Bargeld!

Die Verweigerung ärztlicher Versorgung – einige Beispiele

Die Verweigerung von Krankenscheinen ist die Regel, spätestens dann, wenn erst die übrigen Hilfen nach § 1a AsylbLG eingestellt sind. Viele Sachbearbeiterinnen und Sachbearbeiter erklären den unter Verweis auf akute Krankheitssymptome und Schmerzen um Krankenscheine bittenden Flüchtlingen »das interessiert uns nicht«! Manche verwenden zur Ablehnung die Mittel der Körpersprache und halten sich Augen und Ohren zu, andere bescheiden Flüchtlinge, die um einen Krankenschein bitten, nur mit der schlichten Aufforderung »raus hier«!

Gegenüber dem Verwaltungsgericht führt die Rechtsstelle des Sozialamtes Wedding zur Verweigerung der Krankenscheine aus: »Zwecks Gewährung von Krankenhilfe ist die Vorlage eines Attestes eines niedergelassenen Arztes unter Angabe der akuten Erkrankung erforderlich.« Wie der Flüchtling sich ohne einen Pfennig Bargeld und ohne Krankenschein das Attest beschaffen soll, bleibt offen. Inzwischen mußte die betroffene Mutter blutspuckend ins Krankenhaus eingewiesen werden, eine schwere bakterielle Infektion wurde diagnostiziert, auch ihr Kind mußte wegen einer Lungeninfektion stationär behandelt werden.

Die Rechtsstelle des Sozialamtes Prenzlauer Berg erklärte gegenüber dem Verwaltungsgericht zur Verweigerung von Krankenscheinen, daß die »behaupteten Schmerzzustände unglaubwürdig« seien, da »jedes Krankenhaus akute Erkrankungen behandeln würde«. Das Verwaltungsgericht hat diese Entscheidung in zwei Instanzen als von §1a AsylbLG gedeckt bestätigt: »Die behaupteten Zahnund Augenschmerzen hat der Antragsteller nicht glaubhaft gemacht. Es ist auch weder dargelegt noch sonst ersichtlich, daß insoweit ein unaufschiebbarer Behandlungsbedarf besteht.« (OVG 6 SN 229.98). Auf welche Weise der Flüchtling seine Schmerzen, deren Diagnose er nicht kennt, und den akuten Behandlungsbedarf näher glaubhaft machen bzw. darlegen soll, ohne die Möglichkeit zu haben zum Arzt zu gehen, bleibt allein das Geheimnis der Verwaltungsrichterinnen und -richter.

Eine 63jährige Kosovo-Albanerin, die vom Sozialamt Steglitz nur Unterkunft ohne Verpflegung erhielt, hat mit vom Taschengeld anderer Flüchtlinge geliehenem Geld eine Ärztin aufgesucht und DM 39,- bezahlt. Die Ärztin hat eine behandlungsbedürftige akute Gastritis bescheinigt. Beim Sozialamt erklärte man der Albanerin, solange der Eilantrag auf Leistungen beim Verwaltungsgericht nicht zu ihren Gunsten entschieden sei, dürfe sie beim Sozialamt nicht mehr erscheinen und bekäme auch keine Krankenscheine.

Einem Kosovo-Flüchtling wurde vom Sozialamt Reinickendorf der Barbetrag von DM 80,- auf DM 20,- gekürzt, die Chipkarte entzogen, und er wurde in die DRK- Sammelunterkunft Streitstraße (500 Flüchtlinge) eingewiesen. Er erhielt Unterkunft und Vollverpflegung, aber keine Kleidung und keine Krankenscheine. Auf dem Bauch hat er seitdem einen rotfleckigen Ausschlag unbekannter Ursache. Dennoch wurde ihm der Krankenschein verweigert. Erst nach wochenlangen Auseinandersetzungen, nachdem ein Eilantrag beim Verwaltungsgericht gestellt war, und nachdem der Flüchtling auf Aufforderung des Sozialamtes mit einer von einer Arztpraxis ausgestellten »Terminkarte« einen Arzttermin nachweisen konnte (eine weitverbreitete Schikane der Sozialämter gegenüber Flüchtlingen), erhielt er den Krankenschein. Der Arzt diagnostizierte eine Herzerkrankung sowie eine kriegsbedingte psychische Traumatisierung. Der Ausschlag wurde als Krätze diagnostiziert, der Flüchtling erhielt die erforderlichen Medikamente. Mangels Kleidung zum Wechseln konnte er die Krätze allerdings noch immer nicht behandeln.

Kein Rechtsschutz

Die Kammern des Berliner Verwaltungsgerichtes haben die Praxis des Entzugs jeglichen Bargeldes, des Aushungerns und des Aussetzens in die Obdachlosigkeit in vielen Fällen bestätigt. Einzig die »Fahrtkosten der preisgünstigsten Beförderungsmöglichkeit in das Herkunftsland« sowie ein Zehrgeld für unterwegs konnten Kriegsflüchtlinge aus dem Kosovo im Herbst und Winter 1998/99 noch beanspruchen. Für den dagegen prinzipiell möglichen Beschwerdezulassungsantrag beim Oberverwaltungsgericht besteht Anwaltszwang, so daß viele Flüchtlinge mangels Geld und vertretungsbereiter Anwältinnen und

Anwälte hiergegen nichts mehr tun können. Die Berliner Praxis gegenüber Flüchtlingen aus dem Kosovo und der BR Jugoslawien hat sich erst unmittelbar mit Beginn der NATO- Bombardierung geändert. Nunmehr sollen diese Flüchtlinge zwar grundsätzlich Unterkunft in einer Einrichtung mit Vollverpflegung, bei Vorliegen eines Tatbestandes nach §1a AsylbLG aber weiterhin keinen Pfennig Bargeld erhalten. Die vollständige Streichung des Barbetrages von DM 80,- hält die Senatssozialverwaltung in diesen Fällen auch für Flüchtlinge, deren Rückkehr auf unabsehbare Zeit objektiv unzumutbar und unmöglich ist, für angebracht.

Ob Schwarz oder Gelb,
ob Rot oder Grün: Flüchtlinge werden rausgemobbt

Im rot- grünen Koalitionsvertrag steht nichts zur endlich fälligen Umsetzung des Kriegsflüchtlingsstatus aus dem Asylkompromiß, nichts zur Aufhebung des Arbeitsverbotes für Kriegs- und andere Flüchtlinge, nichts zur Umsetzung von Abschiebestoppregelungen und auch nichts zum Asylbewerberleistungsgesetz.

Von Asylsuchenden, von Kriegsflüchtlingen ohne gesicherten Status, von »illegalen« bzw. illegalisierten Ausländerinnen und Ausländern spricht bei RotGrün niemand mehr. Daß Asylsuchende und Kriegsflüchtlinge nicht arbeiten dürfen, in Lager eingewiesen werden, mit Sachleistungen versorgt werden, mancherorts vielleicht auch gar nichts mehr erhalten, scheint gesellschaftlicher Konsens geworden zu sein – unter Beteiligung von Rot und Grün.

Weltärztebund

Entschließung des Weltärztebundes zur medizinischen Versorgung von Flüchtlingen

verabschiedet von der 50. Generalversammlung des Weltärztebundes in Ottawa (Kanada) im Oktober 1998

IN DER ERWÄGUNG, daß die jüngsten internationalen Konflikte und Bürgerkriege zu einer ständigen Zunahme von Flüchtlingen in allen Regionen geführt haben; und

IN DER ERWÄGUNG, daß internationale Kodizes für Menschenrechte und ärztliche Ethik, einschließlich die Deklaration des Weltärztebundes von Lissabon, erklären, daß alle Menschen ohne Unterschied ein Recht auf angemessene ärztliche Versorgung haben;

WIRD BESCHLOSSEN, DASS:

  1. Ärzte die Pflicht haben, einem Patienten, unabhängig von seinem Status, die notwendige Versorgung zukommen zu lassen und Regierungen dürfen weder das Recht des Patienten auf medizinische Behandlung noch die Pflicht des Arztes zu helfen einschränken; und
  2. Ärzte nicht gezwungen werden dürfen, an Strafaktionen oder gerichtlich angeordneten Aktionen gegen Flüchtlinge mitzuwirken oder an Flüchtlingen medizinisch nicht zu vertretende diagnostische Maßnahmen oder Behandlungen vorzunehmen, wie beispielsweise die Verabreichung von Beruhigungsmitteln, um Probleme bei der Abschiebung der Flüchtlinge in ihr Heimatland zu vermeiden; und
  3. Ärzten genügend Zeit und ausreichende Ressourcen zugebilligt werden müssen, um den physischen und psychischen Gesundheitszustand von Asylbewerbern beurteilen zu können.

Nicht vergessen:
Höhe der Leistungen an die Lebenshaltungskosten anpassen –
stärken Sie das Gedächtnis Ihrer Bundestagsabgeordneten!

§ 3 Abs. 3 des Asylbewerberleistungsgesetzes heißt: »Das Bundesministerium für Familie und Senioren setzt im Einvernehmen mit dem Bundesministerium des Innern und dem Bundesministerium der Finanzen durch Rechtsverordnung mit Zustimmung des Bundesrates die Beträge nach Abs. 1 S. 4 und Abs. 2 S. 2 jeweils zum 1. Januar eines Jahres neu fest, wenn und soweit dies unter Berücksichtigung der tatsächlichen Lebenshaltungskosten zur Deckung des in Abs. 1 genannten Bedarfs erforderlich ist. Für die Jahre 1994 bis 1996 darf die Erhöhung der Beträge nicht den Vom-Hundert-Satz übersteigen, um den in diesem Zeitraum die Regelsätze gemäß § 22 Abs. 4 des Bundessozialhilfegesetzes erhöht werden.«

Im Klartext: Es geht um die Anpassung der sogenannten Grundleistungsbeträge für Flüchtlinge an die steigenden Lebenshaltungskosten. Seit Inkrafttreten des Gesetzes bleiben Asylsuchenden als Barbetrag (» Taschengeld«) gleichbleibend nur DM 80,- beziehungsweise DM 40,- (bis zur Vollendung des 14. Lebensjahres). Die Lebenshaltungskosten sind seitdem um über vier Prozent gestiegen.

Wenden Sie sich deshalb im Herbst an Ihre Bundestagsabgeordneten und fordern Sie sie auf, dafür Sorge zu tragen, daß das zuständige Bundesarbeitsministerium die notwendige Rechtsverordnung vorbereitet und Flüchtlinge nicht zum 1. Januar 2000 erneut mit leeren Händen dastehen.


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