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23.12.1997

„Die deutsche Flüchtlingspolitik folgt dem Taktstock des Marktes“

Pro Asyl fordert Ende der Abwehrhaltung
Berliner Menschenrechtler machen sich für Afghanen und Bosnier stark

Frankfurter Rundschau


FRANKFURT A. M./BERLIN, 23. Dezember (FR/ap/epd). Pro Asyl hat die Flüchtlingspolitik in Deutschland scharf kritisiert. Sie folge mehr dem „Taktstock des Marktes und der Macht als der Moral und Menschlichkeit“, betonte der Sprecher der Hilfsorganisation, Heiko Kauffmann, am Dienstag in Frankfurt am Main. Es sei an der Zeit, der „Abwehrpolitik“ und der „Diskriminierung von Flüchtlingen“ hierzulande ein Ende zu bereiten.

Flüchtlinge dürften nicht in Kriegsgebiete oder Staaten, die folterten und politisch Andersdenkende verfolgten, abgeschoben werden, forderte Kauffmann. Statt mit einer aktiven Friedenspolitik zur weltweiten Durchsetzung von Menschenrechten und Demokratie beizutragen, verschärfe die Bundesrepublik mit Waffenlieferungen an Staaten wie Indonesien oder die Türkei das Flüchtlingsproblem. „Deutschland“, so Kauffmann, „trägt soviel Verantwortung für das Entstehen von Fluchtbewegungen, wie es selbst fortwährend Ursachenfaktor für die Verelendung vieler Menschen, die weitere Verarmung vieler Länder, für Waffenlieferungen, für die Zusammenarbeit mit Diktaturen und für die Stabilisierung von Terrorregimen ist.“

Besonders dramatisch sei die Lage derzeit in Algerien, wo auch kurz vor Weihnachten wieder Zivilisten barbarisch hingemetzelt worden seien, sagte der Pro-Asyl-Sprecher. Es grenze an Heuchelei, wenn Bundesaußenminister Klaus Kinkel (FDP) die Massaker als nicht mehr zu überbietende Grausamkeiten bezeichne, während gleichzeitig das Auswärtige Amt Lageberichte liefere, die die Menschenrechtssituation in dem Land verharmlosten und beschönigten. Die für die „Abschottung Deutschlands“ verantwortlichen Politiker, schimpfte Kauffmann, „könnten eigentlich nicht ruhig ,Stille Nacht, Heilige Nacht‘ singen.“ Unterdessen forderten Vertreter von Kirchen und Menschenrechtsorganisationen in Berlin die Anerkennung von Flüchtlingen aus Afghanistan als politisch Verfolgte. Nur durch die Legalisierung ihres Aufenthalts in Deutschland und die Erteilung einer Arbeitserlaubnis könne ihnen ein menschenwürdiges Leben ermöglicht werden, sagte der Ausländerbeauftragte der Berlin-brandenburgischen Kirche, Hanns Thomä-Venske, in der Bundeshauptstadt.

Unterstützt werden sollen damit die rund 60 afghanischen Flüchtlinge, die am 11. Dezember mit einem Hungerstreik in der Berliner Kaiser-Wilhelm-Gedachtniskirche auf ihre Probleme aufmerksam gemacht hatten. Ohne staatliche Anerkennung seien die Flüchtlinge ständiger Unsicherheit ausgesetzt, kritisierte Rechtsanwältin Veronika Arendt-Rojahn bei der Diskussion in der Heilig-Kreuz-Kirche. Viele von ihnen lebten bereits seit Jähren in Deutschland und hätten keinen Anspruch auf eine Arbeitserlaubnis, ihre Kinder dürften nach der Schule keine Ausbildung beginnen Zwar werde ihnen keine Rückkehr zugemutet, doch die Bundesregierung sei auch nicht bereit, ihren Aufenthalt abzusichern. In Deutschland leben Arendt-Rojahr zufolge derzeit 58.000 Afghanen, 882 von ihnen in Berlin.

Die Initiative zur Betreuung von Asylsuchenden ,“Asyl in der Kirche“ forderte den Berliner Senat auf, die Abschiebung bosnischer Flüchtlinge sofort einzustellen. Das Land Berlin habe „unbemerkt von der Öffentlichkeit“ die Ausweisungen nach Bosnien erheblich ausgeweitet und auch Familien mit Kindern einbezogen, erklärte der Verein. In den bekannt gewordenen vier Fällen handelt es sich den Angaben zufolge um Familien, die aufgrund ihrer Volkszugehörigkeit nicht in ihre in der Republik Srpska liegenden Heimatorte zurückkehren können. Darüber hinaus hätten sie keine Chance, bei Verwandten unterzukommen und seien dem Einbruch des Winters obdach- und mittellos ausgeliefert.


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