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09.12.1997

PRO ASYL zum Internationalen Tag der Menschenrechte:
Die Bundesregierung muß zu den internationalen Standards
des humanitären Völkervertragsrechts zurückkehren!

Berlin (taz)
Sascha Borree


Die Menschenrechtsbilanz der Bundesrepublik fällt von Jahr zu Jahr schlechter aus. Zum Internationalen Tag der Menschenrechte am 10. Dezember erhebt der Sprecher der Arbeitsgemeinschaft PRO ASYL, Heiko Kauffmann, schwere Vorwürfe gegen die Bundesregierung und auch gegen das höchste deutsche Verwaltungsgericht, das Bundesverwaltungsgericht in Berlin.

„Politik und das Bundesverwaltungsgericht betreiben Hand in Hand den Ausstieg aus dem Völkerrecht für Flüchtlinge und aus der Europäischen Menschenrechtskonvention“ erklärte Kauffmann.

Das Bundesverwaltungsgericht hat in Bezug auf Somalia am 15. April 1997 entschieden, daß eine die Abschiebung verbietende unmenschliche oder erniedrigende Behandlung nach Art. 3 Europäische Menschenrechtskonvention nur dann vorliegen soll, wenn „sie von einem Staat oder von einer staatsähnlichen Organisation herrührt.“ Demgegenüber hat der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte in seinem Urteil „Ahmet gegen Österreich“ vom 17. Dezember 1996 (71/1995/577/663) festgestellt, daß „angesichts des absoluten Charakters von Artikel 3 auch nicht … das Fehlen jeder staatlichen Gewalt in Somalia“ der Anwendbarkeit von Artikel 3 EMRK entgegenstehe.

„Der Menschenrechtsschutz in Deutschland befindet sich auf einer schiefen Ebene. Die betroffenen Flüchtlinge rutschen ins rechtliche Nichts“, sagte Kauffmann. Asyl nach Art. 16a Grundgesetz können prinzipiell nur diejenigen erhalten, die vom Staat verfolgt werden. Existiert keine staatliche Macht oder geht die Verfolgung von nichtstaatlichen Gruppierungen aus, kommt nach der jüngsten Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts vom 4. November 1997 politisches Asyl überhaupt nicht mehr in Frage. Selbst Abschiebungsschutz wegen der Europäischen Menschenrechtskonvention wird nach dem oben dargestellten Urteil des Bundesverwaltungsgerichts nicht mehr gewährt.

Heiko Kauffmann dazu: „Nicht nur der Staat, der foltert, sondern auch der Staat, der den Flüchtling Folterern überantwortet, verletzt die Menschenrechte!“. Auch dem Flüchtling gegenüber, dem in Deutschland kein Asyl gewährt werde, habe die Bundesrepublik Schutzpflichten: „Keine deutsche Regierung, kein Innenminister, keine Behörde darf durch Abschiebungen an menschenrechtswidrigen Maßnahmen anderer Staaten mitwirken“, so Kauffmann. Deshalb müßten die Innenminister dringend Abschiebestoppregelungen zum Beispiel für algerische Flüchtlinge, für Kurden aus der Türkei und für Flüchtlinge aus Afghanistan erlassen. Es sei absurd und beschämend, daß die Innenminister sich auf Menschenrechtsverletzungen beschönigende und verharmlosende Berichte des Auswärtigen Amtes verließen, nach dessen Auslegung es etwa in Algerien keinen Bürgerkrieg, sondern „nur eine Gefahr allgemeiner Natur“ gäbe.

„Hier betreibt der Außenminister mit seiner verbunkerten Botschaft in Algier reine Menschenrechtskosmetik, die mit der brutalen algerischen Wirklichkeit, mit barbarischen Massakern und Unmenschlichkeiten von über 80.000 durchschnittenen Kehlen, zerschossenen Köpfen und geschundenen Körpern nicht das Geringste zu tun hat“, sagte der PRO ASYL-Sprecher.

Gesetze werden von Justiz und Exekutive angewandt. Gemacht werden sie vom Deutschen Bundestag. Kauffmann forderte deshalb den Deutschen Bundestag auf, diese gravierende Fehlentwicklung in der Rechtsprechung umgehend zu korrigieren. Mit einer einfachen Gesetzesänderung im Ausländergesetz könne klar geregelt werden, daß die Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte auch für deutsche Gerichte verbindlich sei.

Kauffmann forderte Außenminister Kinkel und Innenmister Kanther auf, den Schutz der Menschenwürde wieder in den Mittelpunkt ihres politischen Handelns zu stellen und Initiativen zum Schutz von unbegleiteten minderjährigen Flüchtlingen, zur Anerkennung geschlechtsspezifischer Verfolgung bzw. zum Schutz von weiblichen Flüchtlinge sowie zum Schutz von Folteropfern und Traumatisierten im Bundestag auf dem Weg zu bringen!


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