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TAG DES FLÜCHTLINGS 1990

Der gläserne Flüchtling

Gespräch mit Prof. Dr. Spiros Simitis

Für PRO ASYL führten das Gespräch mit
Prof. Dr. Spiros Simitis, Datenschutzbeauftragter des Landes Hessen,
am 20.3.1990 Günter Burkhardt und Herbert Leuninger.

PRO ASYL

Der Entwurf der Bundesregierung für ein neues Ausländergesetz sieht einen umfangreichen Austausch von Daten über Ausländer vor. Es heißt dort, Daten dürften von den zur Ausführung des Gesetzes bestimmten Behörden erhoben werden, soweit dies zur Erfüllung ihrer Aufgaben erforderlich sei, z. B. in § 75. Erfüllt das Gesetz den Anspruch, den das Verfassungsgericht in Bezug auf das Recht auf informationelle Selbstbestimmung gesetzt hat? Wie schätzen Sie die Datenschutzbestimmungen des Ausländergesetzes ein?

Simitis
Bevor man auf die Bestimmungen des Gesetzentwurfes eingeht, sollte man klarstellen, was bedauerlicherweise sehr oft vergessen wird. Im Unterschied zu anderen Ländern ist es in der Bundesrepublik so, daß der Gesetzgeber, wenn es um den Datenschutz geht, zwischen Ausländern und Inländern keinen Unterschied macht. Am Datenschutz darf also kein Abstrich gemacht werden mit dem Hinweis darauf, daß es sich um Ausländer handelt. Das ist nicht selbstverständlich, ist aber so in der Bundesrepublik.

Wenn es jetzt um die gesetzlichen Regelungen geht, sollte man eines immer bedenken: Bei dem Entwurf kehrt eine Vorstellung wieder, die man auch ansonsten feststellen kann. Man versucht, möglichst leicht Zugang zu unterschiedlichen Informationsquellen zu bekommen, um möglichst viele Daten über die Betroffenen zusammenzutragen, weil man meint, daß man auf diese Weise auch möglichst verläßlich entscheiden kann. Genau das ist sozusagen die Hypothek, die wir abtragen müssen. Und genau das verbirgt sich an Problemen hinter den Formulierungen, die Sie bemängelt haben. Formal ausgesprochen sind diese Formulierungen äußerlich durchaus im Einklang mit der Sprache, die man auch sonst verwendet. Dahinter verbergen sich die eigentlichen Probleme.

PRO ASYL

In der Begründung des Gesetzes heißt es: „Die Aufgabe der mit der Durchführung des Ausländergesetzes betrauten Behörden, die öffentlichen Interessen zu wahren, ist zudem nicht auf einen bestimmten Kreis öffentlicher Interessen beschränkt, sondern umfaßt alle öffentlichen Interessen“ (Begründung zu § 75). Was öffentliche Interessen sind, wird selbst bei der Frage der Ausweisung offengelassen. Der Gesetzentwurf sagt dazu: „Eine abschließende enumerative Aufzählung ist jedoch nicht möglich, da die Interessen der Bundesrepublik Deutschland einerseits zu vielgestaltig und andererseits variabel sind.“ Wird hier der Grundsatz der Zweckgebundenheit und der Bestimmtheit, wenn es um das Sammeln von Daten geht, berücksichtigt?

Simitis
Man muß die Begründung von dem Gesetzestext unterscheiden. Soweit es um die Begründung geht, will ich Ihnen sofort recht geben, Formulierungen wie der abstrakte Hinweis auf die öffentlichen Interessen sind Formulierungen, die unter Datenschutzgesichtspunkten höchst bedenklich sind. Es kann nicht der Sinn der Ausländerbehörde sein, sich generell für die öffentlichen Interessen einzusetzen. Die Ausländerbehörde hat bestimmte Aufgaben und nur für diese ganz bestimmte Aufgabe, um die es dabei geht, sollen und dürfen die Daten verarbeitet werden.

Aus der Perspektive der Ausländer ist mit die wichtigste Vorschrift die Bestimmung über die Übermittlung, d. h. über die Weitergabe von Informationen, die Ausländer betreffen, an die Ausländerbehörden. Diese Vorschrift muß man im Zusammenhang sehen mit der Regelung des Ausländerzentralregisters. Bei dem Ausländerzentralregister sind unsere Bedenken, die Bedenken des Datenschutzes nicht behoben. Man kann sie ganz kurz zusammenfassen:

Beim Ausländerzentralregister spricht sich der Gesetzgeber dafür aus, eine Vielzahl von Informationen über Ausländer, und zwar nicht nur solche, die für die Aufgaben der Ausländerbehörden erforderlich sind, in einem zentralen Register zu speichern. Unsere große Sorge ist, daß bei diesem Register auch andere Behörden zum großen Teil im sogenannten on-line Verfahren Zugriff haben. Und dieser Zugriff der anderen Behörden bedeutet, daß im Ausländerzentralregister eine Vielzahl von Informationen über Ausländer zusammengestellt werden. Um mal einige Beispiele zu nennen: Da finden sich die Bundesanstalt für Arbeit, die Zollkriminalinstitute und die Verfassungsschutz-behörden. Und ich frage mich, wozu denn das alles sein soll. Warum soll eigentlich die Bundesanstalt für Arbeit einen direkten Zugriff haben? Warum die Zollkriminalinstitute? Um kein Mißverständnis aufkommen zu lassen: Es kann durchaus Einzelfälle geben, in denen die Bundesanstalt für Arbeit unter Umständen ein gerechtfertigtes Interesse an bestimmten Informationen hat. Dann muß in diesem Einzelfall konkret gefragt werden und konkret geantwortet werden. Es geht aber nicht an, im Datenbestand, der den Ausländerbehörden zur Verfügung steht, dem Ausländerzentralregister, einfach direkt zuzugreifen und jeweils die Informationen selbst herauszuholen, die man braucht.

Im Ausländerzentralregister ist es jedoch nicht nur so, daß andere Behörden als die Ausländerbehörden Zugriff auf die Daten der Ausländer haben. Etwas Neues ist realisiert worden: Daten von ganz anderen Behörden, z. B. den Polizeibehörden in bestimmten Bereichen oder der gesamte Interpol-Fahndungsbestand,. werden im Ausländerzentralregister eingespeichert. Es geht also nicht nur darum, daß die Polizeibehörden Zugriff auf Ausländerdaten haben, sondern sie speichern praktisch ihre eigenen Daten ein. Dies führt dazu, daß Ausländerbehörden zu Hilfsdiensten für die Polizei herangezogen werden: nämlich immer dann, wenn ein Ausländer zur Behörde kommt und eine Aufenthaltserlaubnis haben will oder verlängern lassen will, schaut die Ausländerbehörde nach, ob nach ihm gefahndet wird. Und sie übernimmt dann in dem Moment eine Hilfsfunktion für die Polizeibehörden.

PRO ASYL

Wie sieht es aus mit der Möglichkeit, daß ausländische Dienste und Geheimdienste an Informationen aus dem Ausländerzentralregister herankommen?

Simitis
Dies ist auch vorgesehen. Sie müssen sich dabei folgendes vorstellen: Es geht um die generelle Problematik der Übermittlung von Informationen von Behörden in der Bundesrepublik an ausländische Geheimdienste. Dies ist kein Problem, das auf Ausländer beschränkt ist. Wir haben diese Diskussion auch im Zusammenhang mit der Novellierung des Verfassungsschutzgesetzes oder der geplanten gesetzlichen Regelung für den Bundesnachrichtendienst oder aber auch mit der Frage, welche Folgen das Nato – Truppenstatut hat.

Und das ist der Punkt, der mich besorgt macht: Es kann sehr leicht dazu kommen, daß Informationen über Ausländer als Verhandlungsmaterial zwischen inländischen Behörden und ausländischen Geheimdiensten mitbenutzt werden, und das darf unter keinen Umständen sein.

Präziser ausgedrückt: Wenn etwas weitergegeben wird, dann darf es nur im konkreten Fall weitergegeben werden, genauso wie wenn man etwas über Inländer weitergibt. Aber es darf nicht Verhandlungsmaterial sein.

PRO ASYL

Aber ist das eine ausreichende Sicherheit, wenn ich den speziellen Fall annehme, daß Geheimdienste anderer Länder daran interessiert sind, eines Angehörigen ihrer Nationalität habhaft zu werden? Ist das nicht eigentlich eine Zusatzgefährdung, die gegenüber der normalen Absicherung nochmals eine neue Dimension gewinnt?

Simitis
Vollkommen richtig. Wenn man sich an den Wortlaut hält, heißt es konkret in § 19, Absatz 1, daß eine Auskunftserteilung nur unter Berücksichtigung der schutzwürdigen Interessen der Betroffenen erfolgen darf. Wenn die Formel überhaupt einen Sinn hat, so nun ganz besonders hier. Wenn auch nur der leiseste Verdacht besteht, daß daraus sozusagen Nachteile für den einzelnen Ausländer entstehen, muß man die schutzwürdigen Belange des Betroffenen bejahen.

Insgesamt halte ich das Ausländerzentralregister für eine der problematischsten Verwaltungsdateien, die überhaupt existieren.

PRO ASYL

Das heißt, wir haben nach wie vor das Problem des gläsernen Fremden: man sammelt Daten auf Vorrat, häuft sie an und verliert die Kontrolle über die Daten.

Simitis
Ich möchte soweit feststellen, wenn Sie von dem gläsernen Fremden sprechen, daß jede automatische Anbindung von Registern oder automatischer Zugriff, d. h. jede Möglichkeit, direkt in Datenbestände hineinzukommen, ein Schritt in die Richtung des gläsernen Fremden oder überhaupt eines gläsernen Bürgers ist; und gerade deshalb muß ein solcher on-line Zugriff die absolute Ausnahme sein. Er bedarf stets gesetzlicher Regelung, wie das z. B, im Hessischen Datenschutzgesetz geschehen ist. Dies gilt auch für das Ausländerzentralregister, bei dem der on-line Anschluß nur in bestimmten Ausnahmefällen gestattet werden sollte.

PRO ASYL

Für uns bleibt die Frage geradezu brennend: wie ist Schengen im Zusammenhang mit dem gegenwärtigen Datenaustausch zu beurteilen und auch mit der Zentralisierung der Datenbestände? Es gibt Versuche, Schengen auf die gesamte EG zu übertragen.

Simitis
Zunächst einmal gibt es eine prinzipielle Frage. Sie müssen sich das so vorstellen, daß hinter diesem Teil, der die Flüchtlinge betrifft, die Vorstellung steht, das Verfahren innerhalb der Vertragsstaaten möglichst zu vereinfachen. Und zwar in dem Sinne, daß jeder Vertragsstaat auf Informationen rekurrieren kann, die andere Vertragsstaaten über den betreffenden Flüchtling haben, und daß Entscheidungen, die in einem bestimmten Staat getroffen worden sind, von den anderen Vertragsstaaten automatisch akzeptiert und durchgeführt werden. Die erste gravierende Konsequenz ist, daß dann nicht mehr die Vorstellungen zum Zuge kommen, die in der Bundesrepublik über die Asylgewährung maßgeblich sind, sondern daß man dann mehr oder weniger Vorstellungen rezipiert, die anderswo zum Ausdruck gekommen sind. Auf die Weise entsteht die Gefahr, daß das Asylrecht unterlaufen wird.

PRO ASYL

Ein sehr entscheidender Punkt ist, daß die Datenschutzgesetze in den verschiedenen europäischen Ländern sehr unterschiedlich sind und daß es Länder gibt, die keine Datenschutzgesetze haben bzw. daß in den Niederlanden und in Luxemburg die Polizeibehörden dem Datenschutz nicht unterworfen sind, so daß sich also die Möglichkeit von Mißbrauch um neue Dimensionen erweitert.

Simitis
Im Grunde genommen wäre nach dem was Sie gesagt haben, nämlich, daß einzelne Länder keine Datenschutzstandards haben, der richtige Weg der gewesen, in einer solchen Konvention zuerst einheitliche Datenschutzstandards zu schaffen. Das ist auch die Aufgabe, vor der die EG steht. Man hätte daran denken müssen. Doch diesen Weg ist man nicht gegangen. Zunächst einmal hat man die Datenschutzbestimmungen vollkommen ignoriert. Dann hat man sich bereit gefunden, sie anzuwenden, und hat begonnen, einen komplizierten Kompromiß zu schließen. Der komplizierte Kompromiß besteht aus zwei Teilen. Erster Teil: Es gibt in dem Schengener-Abkommen eine Reihe von Datenschutzbestimmungen, die ausführlich auf Datenschutzprobleme eingehen, wann also welche Daten weitergegeben werden dürfen und wie mit ihnen umgegangen werden soll. Dahinter steht im zweiten Teil eine Barriere. Die sieht so aus, daß man sagt: wenn eine bestimmte Bestimmung den nationalen Datenschutzbestimmungen widersprechen sollte, kann man sich auf diese nationalen Datenschutzbestimmungen berufen. D. h. die Bundesrepublik könnte sich in einer ganzen Reihe von Fällen auf Datenschutzbestimmungen berufen. Diese auf den ersten Blick zunächst vielleicht beruhigende Regelung, weil man sagt, unsere Normen werden doch schon irgendwie zur Geltung kommen, ist eine Regelung, die in der täglichen Praxis der Polizei große Schwierigkeiten mit sich bringt, und je größer diese Schwierigkeiten sind, je weniger transparent sozusagen diese Regelung ist, desto größer ist die Gefahr, daß so etwas nicht eingehalten wird oder man nicht richtig darauf achtet. Wenn man sich nämlich ganz extrem auf den Standpunkt stellen sollte, unser Recht findet uneingeschränkt Anwendung, dann könnte man das Schengener Übereinkommen weitgehend vergessen; genau das wird man aber nicht machen. Genau darin liegt auch die Gefahr.

PRO ASYL

Sie müssen verstehen, daß wir ungeheuer mißtrauisch sind, daß all diese Dingen äußerst extensiv genutzt werden, wenn nur irgendwo eine Möglichkeit dazu besteht.

Simitis
Sie haben recht, mißtrauisch zu sein. Die Fahndungsdatei darf nicht die Datei über die Asylsuchenden sein. Man darf nicht das, was man akzeptiert hat zu den Fahndungsdateien, auf die Asylsuchenden übertragen. Wir brauchen einheitliche Regeln über die Asylsuchenden, aus denen sich ganz klar ergibt, was mit diesen Daten geschieht und welche Konsequenzen das für die Flüchtlinge hat. Und da ist der kritische Punkt.

Bezüglich des Datenaustausches und des Datenflusses über Flüchtlinge gibt es eine Bestimmung, die im wesentlichen als Grundlage herangezogen werden kann. Sie steht im vorderen Bereich, wo der Asylbereich geregelt ist: der Artikel 38 des Entwurfs. In diesem Artikel 38 gibt es eine Möglichkeit, daß jede Vertragspartei – gemeint sind also die betroffenen Staaten – jede andere Vertragspartei auf Ersuchen über Erkenntnisse zu einzelnen Asylbegehren unterrichtet, also nicht als selbständige Meldung. Ohne Voraussetzung dürfen eine Reihe von Daten ausgetauscht werden, nämlich Identität, das sind also die Daten wie Name, Vorname, Geburtsname, Beiname oder Deckname, Geburtsdatum, Geburtsort, Nationalität des Asylbegehrenden und seiner Familienangehörigen, Dokumentdaten über die Ausweispapiere, Elemente, die der Identifizierung dienen, was immer das heißen mag, Aufenthalte und Reisewege und Daten des Asylbegehrens, Verfahrensstand und ergangene Entscheidungen. Das sind die Rahmendaten. Diese Daten können zwischen den Sehengen-Staaten ausgetauscht werden. Und es gibt eine zweite Gruppe im Absatz 2: „Eine Vertragspartei kann eine andere Vertragspartei ersuchen, ihr die von dem Asylbegehrenden angeführten Asylgründe und ggf. ihn betreffenden Entscheidungsgründe mitzuteilen.“ D. h. also Hintergrund und Grundlage, warum das Asylbegehren gestellt wurde, erfolgreich bzw. nicht erfolgreich war. Für diese Daten ist eine höhere Schwelle eingebaut. Die ersuchte Vertragspartei beurteilt, ob sie diesem Gesuch Folge leisten kann, und – das ist das Wichtigste – die Übermittlung dieser Daten ist in jedem Fall von der Einverständniserklärung des Asylbegehrenden abhängig. Hier ist also eine relativ wirksame Schwelle eingebaut, wenn man davon ausgeht, daß der Asylbegehrende nicht unter Druck dieses Einverständnis erklärt; das ist allerdings im konkreten Fall natürlich immer wieder zu prüfen.

PRO ASYL

Können wir vielleicht noch abschließend die datenpolitische Frage stellen? Wie sind die Chancen, daß nicht nur Mindeststandards geschaffen werden, sondern daß ausreichende Standards geschaffen werden?

Simitis
Wenn man wirklich eine Chance haben möchte, einheitliche Regelungen zu erreichen, dann müßte wahrscheinlich anders verfahren werden als bisher. Die beste Chance ist eine internationalisierte Diskussion, weil dann der Druck auch ein ganz anderer ist.


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