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31.10.1997

Bundesinnenministerium plant Sprachanalyse bei
Asylsuchenden zur Ermittlung des Herkunftsstaates
PRO ASYL-Kritik: Rechtsstaatlich fragwürdig,
wissenschaftlich zweifelhaft, hohe Kosten


Im Jahr 1998 wird das Bundesamt für die Anerkennung ausländischer Flüchtlinge die „flächendeckende Sprach- und Textanalyse“ bei Asylsuchenden aus bestimmten Herkunftsländern einführen. Veranschlagt sind im Haushaltsentwurf des Bundesinnenministeriums für diesen Zweck 2,4 Mio. DM. Davon sollen 4.000 Analysen zum Preis von jeweils 600,- DM (Einzelplan 06 Kap. 0633, Titel 52602) finanziert werden. Ziel dieses neu eingeführten Verfahrens, so die Kommentierung im Haushaltsentwurf, soll es sein, „im Zweifelsfall die tatsächliche Herkunft der Antragsteller bestimmen zu können. Hierbei handelt es sich um Fälle, in denen Asylbewerber versuchen, ihre wahre Herkunft zu verschleiern, um sich bessere Anerkennungschancen zu verschaffen.“

Erhebliche Zweifel an den möglichen Ergebnissen wie auch der behaupteten Wissenschaftlichkeit solcher Methoden äußerte heute die bundesweite Arbeitsgemeinschaft für Flüchtlinge PRO ASYL. Wortschatz, Sprachgebrauch und Dialektfärbung könnten höchstens Indizien dafür sein, daß jemand zeitweilig in einer bestimmten Region gelebt habe. „Wer behauptet, mit Sicherheit von Sprachphänomenen auf die Staatsangehörigkeit eines Menschen schließen zu können, betreibt Kaffeesatzlesen und setzt sich dem Verdacht aus, zu rassistischen Konstrukten zu neigen. Wenn die Sprachproben ohne Zustimmung oder gar Wissen des Flüchtlings eingeholt werden, dann liegt darüber hinaus ein unzulässiger Eingriff in das grundrechtlich geschützte Persönlichkeitsrecht vor“, sagte Günter Burkhardt, Geschäftsführer von PRO ASYL.

Die meisten Flüchtlinge, bei denen die Staatsangehörigkeit umstritten sei, kämen ohnehin aus Regionen, wo Sprachgrenzen nicht mit Staatsgrenzen übereinstimmten (z. B. Westafrika, Afghanistan / Pakistan, Albanien / Kosova / Mazedonien).

Vorbild ist die Praxis des Schweizer Bundesamtes für Flüchtlinge, wo seit einigen Monaten Herkunftsgutachten mit Hilfe extern rekrutierter Sprachexpert/inne/n erstellt werden. Quantitativ führend dürfte nach einer Recherche von PRO ASYL Schweden sein, wo bereits Tausende solcher Gutachten existieren. Holländische Asylbehörden wiederum bedienen sich der Dienste schwedischer und schweizerischer Fachstellen und versenden Tonträger mit Aufnahmen von Interviews mit Flüchtlingen an Expert/inn/en, die als Grundlage solcher Gutachten Verwendung finden.

Nach Informationen der Schweizerischen Flüchtlingshilfe (SFH) gibt es in der Schweiz keine explizite gesetzliche Grundlage für dieses Verfahren. Unter Verweis auf ihre Mitwirkungspflicht werde jedoch Asylsuchenden die Teilnahme an dem Verfahren nahegelegt. Stammt nach dem Ergebnis dieses Gutachtens die/der Asylsuchende angeblich nicht aus dem von ihr/ihm angegebenen Herkunftsland, findet eine weitere inhaltliche Prüfung des Asylgesuches nicht mehr statt.

Ein besonders seltsames Rechtsverständnis zeigt der Schweizer Umgang mit den Gutachten. Sie werden dem Asylbescheid, den die/der Antragsteller/in erhält, nicht beigefügt. Auch eventuell beauftragten Rechtsanwältinnen oder Rechtsanwälten wird keine Einsicht in das Gutachten gewährt. Somit ist eine juristische Auseinandersetzung mit dem Gutachten oder auch die Bestellung eines Gegengutachtens kaum möglich.

In Schweden werden linguistische Analysen der genannten Art unter Federführung der schwedischen Einwanderungsbehörde (Statens-Invandrarverk) durchgeführt. Eine erste äußerst kritische Stellungnahme zur Praxis liegt PRO ASYL von seiten der juristischen Fakultät der Universität Stockholm vor. Dort heißt es: „Es kann zu diesem Zeitpunkt gesagt werden, daß wir den Methoden und den Ergebnissen, wie sie von dem schwedischen Institut verwendet werden, kritisch gegenüberstehen, weil die Kompetenz der Sprachexperten nicht überprüft werden kann, weil sie anonym sind und weil ihre Ergebnisse zu kategorisch sind.“ Kritik an der Prozedur wird auch von Mitarbeiter/inne/n des niederländischen Flüchtlingswerks (VVN) geübt. Denn auch bei der Begutachtung von Tonträgern aus den Niederlanden in Schweden bleiben die Gutachter/innen anonym. Im übrigen, so die erste Einschätzung eines Mitarbeiters von VVN, hätten sich bislang nur in wenigen Fällen Resultate ergeben, die von den Angaben des/der jeweiligen Asylsuchenden abgewichen seien.

„Mit der Einführung der Sprachanalysen beim Bundesamt werden Methoden von äußerst zweifelhaftem Beweiswert gleich in großem Stil eingeführt. Daß das Bundesinnenministerium in Zeiten knapper Kassen dafür 2,4 Mio. DM übrig hat, ist bemerkenswert. Vermutlich wird man eine solche Ausgabe dann nachträglich durch ebenso zweifelhafte Abschiebebescheide in ein angebliches Herkunftsland rechtfertigen müssen. Vielleicht geht es gar ganz ohne ein Herkunftsland: Die ‚Abschiebung in Regionen‘ ist ja bereits seit einiger Zeit in der Diskussion“, so Günter Burkhardt.

vgl. Asylbewerber sollen vorsprechen – Frankfurter Rundschau vom 01.11.1997 (Seite 1)
vgl. Gefragt ist ein gutes Näschen – Frankfurter Rundschau vom 01.11.1997 (Seite 2)

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