Generic selectors
Nur exakte Ergenisse
Suchen in Titel
Suche in Inhalt
Post Type Selectors

10. August 1998
Frankfurter Rundschau

Bosnien dringt bei Bonn auf Bleiberecht für Ex-Lagerhäftlinge

Deutsche Regierung zeigt sich vor Konferenz in Banja Luka skeptisch
Initiative ehemals Gefangener ruft nach Lösung

Von Pitt von Bebenburg


FRANKFURT A. M., 9. August. Die Regierung von Bosnien-Herzegowina macht sich dafür stark, daß Flüchtlinge aus ihrem Land, die während des Krieges in Lagern inhaftiert waren, vorerst in Deutschland bleiben können. Darüber solle bei einer dreitägigen deutsch-bosnischen Expertenkonferenz gesprochen werden, die am heutigen Montag in Banja Luka beginnt. Das bestätigten das Büro des Bonner Beauftragten für die Bosnienflüchtlinge, Dietmar Schlee, und der Vertreter des bosnisch-herzegowinischen Ministeriums für Ziviltätigkeiten in Deutschland, Muamer Jarovic, der FR. Schlees Koordinator Hartmut Reichl zeigte sich allerdings skeptisch, ob eine entsprechende Regelung zustandekommt: Da es keine zuverlässigen Listen von ehemaligen Lagerhäftlingen gebe, bestünde „die Gefahr, daß plötzlich alle im Lager waren“, meint er. Die Bundesregierung halte die bisherige Regelung für sinnvoller, nach der diejenigen Bosnier ein vorläufiges Bleiberecht zugesprochen bekommen, denen Ärzte eine Traumatisierung bestätigt haben.

Der bosnischen Regierung und Flüchtlingsinitiativen reicht das nicht aus. Sie verweisen auf ihre Erfahrungen, wonach viele traumatisierte Menschen aus finanziellen oder sprachlichen Gründen hier nicht zum Arzt gingen. Zudem scheuten manche den Gang zum Mediziner aus Angst, die schlimmen Erinnerungen könnten wieder aufbrechen.

Bernd Mesovic von PRO ASYL fordert deshalb, den Ex-Lagerhäftlingen „unbürokratisch ein Bleiberecht einzuräumen“. Auch das Flüchtlingswerk der Vereinten Nationen hat die internationale Gemeinschaft schon mehrfach gebeten, für die Menschen aus den Lagern „eine Lösung außerhalb Bosnien-Herzegowinas zu finden“, wie Sprecher Stefan Telöken berichtet.

Ähnliche Forderungen vertreten Betroffene, die in Deutschland einen „Bund der Gefangenenlagerinhaftierten von Bosnien und Herzegowina in der BRD“ gegründet haben. Sie schildern ihre Befürchtungen in drastischen Worten. „Sie wollen uns zu denen zurückschicken, welche uns bis vor kurzem gefoltert, vergewaltigt, geplündert, erniedrigt und umgebracht haben“, heißt es in einem Schreiben des Bundes. In der Heimat warteten Verbrecher „ungeduldig auf unsere Rückkehr, damit sie uns, die Zeugen ihrer Verbrechen, beseitigen können“.

Als entscheidende Frage gilt, wer den Flüchtlingen bescheinigen soll, daß sie tatsächlich im Lager leiden mußten. Die deutsche Initiative der Betroffenen verweist auf die mit ihr zusammenarbeitende Organisation in Bosnien: „Um Fälschungen solcher Bescheinigungen auszuschließen, soll die Bescheinigung von dem Bund der Gefangenenlagerinhaftierten von Bosnien und Herzegowina in Sarajevo ausgestellt werden“, fordert sie. Auch die bosnische Regierung möchte die Liste dieser Initiative, auf der 900 bis 1.000 in Deutschland lebende Leute stünden, zur Grundlage nehmen, wie Muamer Jarovic sagt. Zudem müßten Bestätigungen des Roten Kreuzes oder des UN-Flüchtlingskommissariats „auf jeden Fall“ akzeptiert werden. Das betonen auch Flüchtlingshelfer, die darauf verweisen, daß zahlreiche Betroffene von der Liste des „Bundes“ nichts erfahren hätten und sich folglich nicht hätten notieren lassen. PRO ASYL

schätzt, daß bis zu 10.000 Menschen unter ein Bleiberecht fallen müßten. Das Internationale Komitee vom Roten Kreuz hat nach eigenen Angaben in den Jahren 1991 bis 1995 insgesamt 43.896 bosnische Häftlinge registriert, die in 700 Lagern einsaßen.

Nach Angaben der deutschen Bundesregierung sind seit Jahresbeginn 54.000 Bosnien-Flüchtlinge freiwillig in ihre Heimat zurückgekehrt, weitere knapp 1.100 seien abgeschoben worden. Etwa 160.000 der Flüchtlinge lebten noch in Deutschland.


Nach oben