Frankfurter Rundschau
15. September 1998
Bonn will über Land abschieben
Gespräche mit Wien und Budapest über Kosovo-Flüchtlinge
Von Ferdos Forudastan
BONN, 15. September. Die Bundesregierung will in Gesprächen darauf dringen, daß ihr Österreich und Ungarn dabei helfen, geflüchtete Kosovo-Albaner auf dem Landweg nach Jugoslawien abzuschieben. Der Staatssekretär im Bundesinnenministerium, Kurt Schelter, sagte am Dienstag in Bonn, bei gutem Willen werde man mit den Transitstaaten Durchreisemodalitäten vereinbaren können. Die Gespräche mit den betreffenden Regierungen sollen am Rande der Tagung des Schengen-Exekutivausschusses am heutigen Mittwoch in Bonn stattfinden. Mit einem „Aktionsplan“ wollen die sogenannten Schengen-Staaten an ihren Außengrenzen die Abwehr von Migranten weiter verschärfen.
Zu den Erfolgsaussichten der Gespräche wollte Schelter sich nicht äußern. Er sagte auch nichts zu der Frage, welches Interesse diese Länder daran haben könnten, die schwierige zwangsweise Rückführung der Menschen mit zu übernehmen.
Nachdem die Europäische Union vergangene Woche ein Start- und Landeverbot für die jugoslawische Fluglinie JAT erlassen hatte, war Bundesinnenminister Manfred Kanther mit der Forderung aufgetreten, Flüchlinge aus Kosovo auf dem Landweg zurückzuschicken. In dem vor einiger Zeit zwischen Bonn und Belgrad ausgehandelten Rückführungsabkommen ist festgelegt, daß die Schutzsuchenden nur mit der JAT abgeschoben werden dürfen. Außerdem hat die Regierung Jugoslawiens den Vertrag mit Deutschland ausgesetzt und wird sich wohl weigern, die Betroffenen zurückzunehmen. Nach Angaben des Bundesinnenministeriums leben derzeit etwa 170 000 ausreisepflichtige Menschen aus der Region in Deutschland. Wegen des Krieges in Kosovo verzichtet ein Teil der Bundesländer seit kurzer Zeit vorerst auf die geplanten Abschiebungen.
Der niedersächsiche Innenminister Gerhard Glogowski (SPD) hat das Flugverbot für die JAT am Dienstag erneut kritisiert. Der Sozialdemokrat lehnte die Maßnahme mit der Begründung ab, sie zwinge Belgrad nicht in die Knie und verhindere die Abschiebung von Flüchtlingen. Daraufhin warf Bundesinnenminister Kanther dem Niedersachsen „törichtes Gerede“ vor. Das EU-Verbot sei eine wirksame Maßnahme, um die serbische Agression in Kosovo zu stoppen. Der bündnisgrüne Außenpolitiker Helmut Lippelt urteilte, Glogowskis „Provinzialismus“ sei kaum noch zu überbieten.
Angesichts der sich zuspitzenden Lage auf dem Balkan hat die Flüchtlingsorganisation Pro Asyl die Bundesregierung aufgefordert, ihre Tore zur Rettung von Menschenleben zu öffnen und Schutzsuchende aufzunehmen. Pro Asyl warf den europäischen Regierungen vor, die Augen vor dem Flüchtlingselend und der drohenden humanitären Katastrophe zu verschließen. Notwendig sei jetzt eine Sonderkonferenz der EU-Innen- und Außenminister. Agenturberichten zufolge hat ein Beauftragter der Vereinten Nationen in Genf darauf hingewiesen, daß in Kosovo erste Flüchtlingskinder an Durchfallerkrankungen und Flüssigkeitsverlust gestorben seien.