Generic selectors
Nur exakte Ergenisse
Suchen in Titel
Suche in Inhalt
Post Type Selectors

TAG DES FLÜCHTLINGS 1990

„Bettelmarsch“ gegen drohende Abschiebung

Bettina Markmeyer

Die dreieinhalbtausend Roma Nordrhein-Westfalens wollen sich nicht länger mit Übergangs- oder Duldungslösungen nach dem geltenden Asylrecht zufriedengeben. Sie fordern von der Düsseldorfer Landesregierung das Bleiberecht für alle. Die Situation der Roma in ihrem Heimatland Jugoslawien ist nach wie vor unsicher.

Seidenstrümpfe in Badeschlappen lugen unter der blauen Hose einer Frau hervor, zarte Halbschuhe, Sandalen und Westernstiefel bei den Jugendlichen – nicht gerade ideale Fußbekleidung für einen dreitägigen Marsch von Köln nach Düsseldorf. Aber egal ob in Turnschuhen oder schon humpelnd vor Blasen, über 800 Roma sind entschlossen, zusammenzubleiben und sich mit dem „Bettelmarsch“ gegen drohende Abschiebung zu wehren.

Rudko Kawczynski, Gründer der Roma und Sinti Union und Vorsitzender der Hamburger Roma und Sinti Union, hat sich, nach Auseinandersetzungen mit Kölner Roma-Vertreterinnen, an die Spitze des Marsches gesetzt. Wozu einzelne Menschen aus dem Zug nichts sagen wollen, faßt Rudko eloquent zusammen:

Mit dem „Bettelmarsch“ zum Ministerpräsidenten nach Düsseldorf geht es zum ersten Mal für die 3.500 Roma im bevölkerungsreichsten Bundesland nicht um irgendwelche Übergangs- und Duldungslösungen nach dem Asylrecht. Sie wollen das Bleiberecht – „für alle, die jetzt hier sind“, sagt Kawczynski, „zum Beispiel mit einer Stichtagregelung wie in Hamburg. Dazu Regelungen zur Familienzusammenführung. Fertig“.

„Wir wollen politische Entscheidungen für eine generelle Lösung. Keine Einzelfallentscheidungen, keine Duldung nach Asylverfahren“. Asylverfahren seien bisher für Roma die einzige Möglichkeit gewesen, in der Bundesrepublik zu bleiben.

Laster donnern unaufhörlich an dem Zug vorbei, der sich wieder in Bewegung gesetzt hat. An einem Industriegebiet vorbei geht es nach Neuss, wo zur Übernachtung eine Halle bereitgesteht wurde. Auf der gegenüberliegenden Fahrbahn werden Kinder in zwei orangefarbenen LKWs gefahren: „Bleiberecht, Bleiberecht!“ rufen sie in wiederkehrenden Sprechchören. Außerdem rollen einige Autos und Krankenwagen der Johanniter mit im Zug. Etwa 30 Frauen und ebensoviele Kinder sind geschwächt oder krank. Viele haben Grippe, einige der Kinder inzwischen auch die Windpocken. Besonders schwangeren Frauen geht es schlecht, andere mit Säuglingen auf den Armen, lassen sich in den Autos transportieren.

Der mühsame Marsch fand bereits viele Unterstützerlnnen. Alle Kirchen Dormagens wollen die Roma beherbergen.

Am Donnerstag nachmittag dann erreicht der Roma-Marsch Düsseldorf.

aus: Die Tageszeitung, 12.1.1990 (Gekürzt)

Nach langen Verhandlungen wurde der Bettelmarsch der Roma Ende Januar abgebrochen. Innenminister Schnoor sicherte zu, sich für einen besonderen Aufenthaltsstatus einzusetzen. Vor dem 12.1.1990 in Nordrhein-Westfalen lebende Roma können einen Antrag auf Aufenthaltserlaubnis stellen. Bei der Umsetzung des Erlasses gibt es nach Informationen des Flüchtlingsrates Nordrhein-Westfalen Probleme. Eine Dokumentation ist gegen einen Unkostenbeitrag erhältlich bei:

Flüchtlingsrat Nordrhein-Westfalen, Worringer Straße 70, 4000 Düsseldorf 1.

Nach oben