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20.11.1997

Bei Heimkehr Folter oder Tod
Algerier zittern um Asyl

Frankfurter Rundschau
Von Joanna Griffin (Frankfurt a. M.)


Mohammed L. kann nicht mehr zurück. Die Heimkehr nach Algerien würde für ihn die sichere Festnahme, vielleicht Folter bedeuten. Oder sogar den Tod – durch eine der marodierenden Banden, die nachts ganze Ortschaften mit Terror überziehen. Doch die Entscheidung über seine Zukunft hängt nicht von ihm ab.

Am 20. und 21. November verhandeln die Innenminister der Bundesländer in Schwerin über einen Abschiebestopp von Flüchtlingen nach Algerien. Für algerische Asylbewerber in Deutschland stehen die Zeichen nicht gut: Die Aufnahmekriterien wurden auch dann noch verschärft, als in dem nordafrikanischen Land längst die Anarchie herrschte. Algerien erlebt seit 1992 eine Welle der Gewalt, der bis zu 60 000 Menschen zum Opfer gefallen sind.

Auslöser für die Krise in Algerien war der Abbruch der Parlamentswahlen, die 1992 der Islamischen Heilsfront (FIS) den sicheren Sieg beschert hätten. Seitdem hat die Gewalt gegen Zivilisten derart zugenommen, daß die Hoffnung auf ein Ende des Blutvergießens fast unrealistisch erscheint. Die Unfähigkeit der Regierung in Algier, der Gewalt Einhalt zu gebieten, läßt immer wieder die Frage nach den eigentlich Verantwortlichen aufkommen.

Lediglich Schleswig-Holstein, Nordrhein-Westfalen und Sachsen-Anhalt haben alle Abschiebungen für ein halbes Jahr ausgesetzt. Sollten die Innenminister sich jetzt auf eine Richtlinie festlegen, könnte die Entscheidung gegen die Asylsuchenden ausfallen, befürchten Menschenrechtler und Flüchtlingsorganisationen. Die Behauptung der Bonner Regierung, der algerische Staat könne den Schutz seiner Bürger gewährleisten, sei angsichts der steigenden Zahl von Massakern eine Fiktion.

„Im Moment ist ein Abschiebestopp nach Algerien die einzige Möglichkeit, ihnen Schutz zu gewähren“, sagt Gunter Burkhardt von pro-Asyl im Gespräch mit der FR. pro-Asyl, das Flüchtlingshilfswerk der Vereinten Nationen und andere Gruppen drängen in Bonn jetzt darauf, die Richtlinien zur Aufnahme von Flüchtlingen aufzuheben. Nach geltendem Recht ist jemand nur dann ein Flüchtling, wenn er durch den eigenen Staat verfolgt wird. In Algerien ist die Gewalt jedoch allumfassend: Sie richtet sich gegen Islamisten, Deserteure, Frauenrechtler, Demokraten.

Zur Bestätigung, daß auf Garantien aus Algier kein Verlaß ist, zitiert Burkhardt einen Bericht des Auswärtigen Amtes vom 30. September. Darin heißt es, daß die „Informationsbeschaffung im menschenrechtlichen Bereich durch die Sicherheitslage besonders erschwert“ sei. Außerhalb der „staatlichen Verwaltung, von der objektive Auskünfte nicht zu erwarten sind“ gebe es kaum Gesprächspartner. „In Algerien“, erläutert amnesty international-Expertin Ruth Jüttner, „verlaufen die Überfälle nach dem Zufallsprinzip. Niemand ist sicher.“

Amnesty schätzt, daß etwa 600 in Deutschland lebende Algerier derzeit von Abschiebung bedroht sind. Die meisten Asylsuchenden sind Anhänger der FIS, doch finden sich auch Vertreter anderer Gruppen unter den Flüchtlingen. Der 41jährige Mohammed L. ist ein Demokrat. Damit sitzt er zwischen allen Stühlen und ist mit seinem Asylgesuch von allen Seiten angreifbar. Im Jahr 1992 wurde er als Mitglied der Bewegung für Demokratie in Algerien (MDA) von der Polizei festgenommen und beschuldigt, FIS-Mitglied zu sein. Er kam aus der Haft frei und floh im Januar 1993 mit seiner Frau und drei Kindern nach Deutschland. Noch im Exil blieb er ein Kritiker des algerischen Regimes. Sein Verhalten käme in Algerien dem Unterzeichnen des eigenen Todesurteils gleich.

In Deutschland leben offiziell 15 000 Algerier. Diese Flüchtlinge hätten mit einem schlechten Image zu kämpfen, sagt Karl Kopp von pro-Asyl. In den Augen vieler Deutscher seien Algerier häufig in den Drogenhandel verwickelt. Diese Einstellung beeinflusse die politischen Entscheidungen, meint Kopp. Für viele Menschrechtler bleibt jedoch die entscheidende Frage, ob Deutschland seine Abschiebepraxis beibehalten kann mit der wiederholten Behauptung, Algerien garantiere für die Sicherheit seiner Bürger.


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