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TAG DES FLÜCHTLINGS 1988

Bausteine für einen Gottesdienst

Predigt am Tag des Flüchtlings 1987
in der Dorfkirche Mariendorf, Berlin

Für Christen gibt es keine Ausländer. Für Christen ist jeder Mensch ein Ebenbild Gottes, und damit sind alle Geschwister, keine Fremden. Trotzdem erleben Menschen aus anderen Ländern bei uns eine andere Wirklichkeit. Ausländer haben es schwer, besonders wenn sie aus anderen Kulturkreisen stammen und nicht mit gefüllten Brieftaschen kommen. Viele Ausländer unter uns sind Flüchtlinge. Mit ihnen haben wir besondere Schwierigkeiten. Sie sind nicht hergekommen, um hier zu arbeiten, zu lernen oder Geld auszugeben. Sie sind gekommen, um zu überleben, sie suchen Schutz, weil sie an Leib und Leben, in ihrer- Menschenwürde bedroht sind.

Ich will Ihnen von einem erzählen, der vor fast 3000 Jahren flüchten mußte.

In Israel regierte ein König namens Ahab. Er trat mit Füßen, was dem Volk heilig war; die Anhänger des alten Glaubens verfolgte er blutig, die ihm im Wege standen, brachte er um, raffte Besitz an sich, ein Tyrann. Einer leistete Widerstand, Elia. lm Namen Gottes sagte er eine verheerende Dürre an – eine Wirtschaftssanktion Gottes. Ahab schickt seine Schergen aus, Elia taucht unter. Er verbirgt sich in der Einsamkeit am Bach Krit, wird dort wunderbar versorgt, bis auch der Bach versiegt. Und dann muß er ins Ausland flüchten (1. Könige 17, S-16):

„Da kam das Wort des Herrn zu ihm: Mach dich auf und geh nach Zarpath, das bei Sidon liegt, und bleibe dort; denn ich habe dort einer Witwe geboten, dich zu versorgen. Und er machte sich auf und ging nach Zarpath. Und als er an das Tor der Stadt kam, siehe, da war eine Witwe, die las Holz auf. Und er rief ihr zu und sprach: Hole mir ein wenig Wasser im Gefäß, daß ich trinke! Und als sie hinging zu holen, rief er ihr nach und sprach: Bring mir auch einen Bissen Brot mit! Sie sprach: So wahr der Herr, dein Gott, lebt: ich habe nichts

Gebackenes, nur eine Handvoll Mehl im Topf und ein wenig Öl im Krug. Und siehe, ich habe einen Scheit Holz oder zwei aufgelesen und gehe heim und will mir und meinem Sohn zurichten, daß wir essen – und sterben. Elia sprach zu ihr: Fürchte dich nicht! Geh hin und mach’s, wie du gesagt hast. Doch mache zuerst mir etwas Gebackenes davon und bringe mir’s heraus; dir aber und deinem Sohn sollst du danach auch etwas backen. Denn so spricht der Herr, der Gott Israels: ,Das Mehl im Topf soll nicht verzehrt werden, und dem Ölkrug soll nichts mangeln bis auf den Tag, an dem der Herr regnen lassen wird auf Erden.` Sie ging hin und tat, wie Elia gesagt hatte. Und er aß und sie auch und ihr Sohn Tag um Tag. Das Mehl im Topf wurde nicht verzehrt, und dem Ölkrug mangelte nichts nach dem Wort des Herrn, das er durch Elia geredet hatte.“

Es geht um ganz elementare Dinge:

Wärme und Wasser, Mehl und Öl. Es geht um die Begegnung zweier Menschen in einer Grenzsituation: den Mann auf der Flucht vor dem Machthaber, der sein Leben will, die Frau mit einem Kinde vor dem Hungertod. Sie teilt, was für keinen reicht, und alle werden satt. Es ruht Segen auf der Aufnahme des Flüchtlings. Wir stehen wahrlich nicht vor dem Hungertod. Wir sprechen von Fleischbergen und Milchseen und meinen den Überfluß und tun uns doch so schwer mit Menschen auf der Flucht. Vielleicht haben wir zu viel zu verlieren ganz anders als jene Witwe. Vielleicht steckt aber noch etwas anderes hinter der Ablehnung, die Flüchtlinge erfahren: die heimliche Angst vor eigener Flucht und Verfolgung.

Wir kennen das Gefühl, sei es aus eigenem Erleben, sei es aus unseren Alpträumen:

  • ich laufe, andere sind hinter mir her, kommen näher, schneiden mir den Weg ab…
  • oder: das Schreckliche kommt auf mich zu, ich will davonlaufen, komme nicht los…
  • oder: ich habe mich hervorgewagt mit einer Äußerung, alle verstummen, schauen mich an, ich stehe wie nackt da – ausgegrenzt…
  • oder: alles, was ich aufgebaut habe in Beruf, Familie, Lebensstil bricht zusammen wie ein Kartenhaus. Ich stehe vor dem Nichts.

Die Begegnung mit Menschen auf der Flucht weckt die Angst: das gehört auch zu deinen Möglichkeiten, das kann ansteckend sein; du könntest etwas abbekommen von Verfolgung und Flucht, von der Ausgrenzung, vom Nichts.

Dann reagieren wir nicht viel anders als die Verfolger: wir grenzen aus.

Deutsche Flüchtlinge aus Nazideutschland haben das erleben müssen. Auf der Flucht vor dem Konzentrationslager gelangten sie nach Frankreich und England, und bald waren sie dort auch in Internierungslagern eingesperrt.

Sabine Leibholz, Schwester Dietrich Bonhoeffers, hat bewegend erzählt, wie sie und ihre Familie als „feindliche Ausländer“ in England behandelt wurden. Grenzen wir uns gegen Flüchtlinge ab, um uns gegen ihr Schicksal abzugrenzen ? Die Sache ist ja gar nicht so irrational:

Wer Flüchtlinge aufnimmt, mit Ihnen teilt, der gerät ganz schnell in eine ausgesonderte Position, findet sich isoliert, oft am Rande der Legalität. Aber eben dazu möchte ich mir und Ihnen Mut machen.

Zum christlichen Leben gehört nicht nur die Ruhe im gelobten Land, die Beheimatung in Gemeinde und Familie, sondern auch das Unbehaustsein: „Wir haben hier keine bleibende Stadt, sondern die zukünftige suchen wir!“ heißt es im Hebräerbrief, und dort erhalten wir den Hinweis: die entscheidenden Dinge der Glaubensgeschichte sind nicht im gesicherten, vertrauten Zuhause passiert, sondern außerhalb des Lagers, außerhalb der Stadt. Nicht in Ägypten, nicht im Lande Kanaan schließt Gott seinen Bund mit Israel, sondern unterwegs am Sinai. Nicht zu Hause in Nazareth wurde Jesus geboren, sondern in Bethlehem, nicht in der heiligen Stadt wurde er hingerichtet, sondern vor den Toren auf Golgatha. Wer sich in seinem Leben auf diesen Christus bezieht, wird sich immer wieder vor der Stadt, vor dem Lager finden, bisweilen allein, bisweilen mit seiner Gemeinde. Er wird – so die Bibel – manchmal darauf verzichten müssen, seinen Vater zu beerdigen, wird gelegentlich kein Nest, keine Grube haben, und er kann das aushalten, weil er sich von diesem Christus gehalten und aufgehoben weiß.

Das Schicksal der Flüchtlinge hat eine Nähe zur christlichen Existenz, und in der Begegnung, der Solidarität mit dem Flüchtling liegt die Verheißung des Elia: das Mehl im Topf, das Öl im Krug wird reichen! Auf dem Aufnehmen des Flüchtlings ruht Segen. Christen sehen deshalb in Flüchtlingen Schwestern und Brüder, in deren Schicksal sich etwas von ihrer eigenen Existenz spiegelt, vor dem sie nicht Angst haben, sondern das sie als bei Gott geliebte Menschen bejahen.

Dies ist keine politische Veranstaltung, sondern ein Gottesdienst, und deshalb stelle ich keine politischen Forderungen. Aber wenn die Millionen Christen bei uns und anderswo sich dieser Solidarität mit dem Menschen auf der Flucht bewußt werden, dann wird das politische Folgen haben. Dann wird Humanität nicht nur eine moralische Forderung sein, sondern ihre Wurzeln in der Geschwisterlichkeit haben, und dann wird diese Solidarität auch dahin führen, daß derTyrann Ahab und seine Nachfolger nicht mehr ungestört Menschen in die Flucht treiben können.

Joachim Hoffmann
Superintendent, Berlin


Sündenbekenntnis

Ein Mensch, der flieht, ruft um Hilfe:

  • wir bekennen, Herr, daß wir die Hilferufe der Flüchtlinge oft nicht ernstnehmen.

Flüchtlinge kommen aus anderen Ländern und sind uns fremd:

  • wir bekennen, Herr, daß wir das Fremdsein, das uns trennt, mehr betonen als das Menschliche, das uns eint.

Gott, Du hast alle Menschen zu Brüdern und Schwestern gemacht und sie zu Deinem Ebenbild berufen:

  • wir bekennen, Herr, daß wir den Bruder und die Schwester, Dein Ebenbild, in jedem einzelnen Flüchtling zu wenig sehen.

Was uns nicht vertraut ist, ist uns unheimlich: die andere Hautfarbe, die fremden Lebensgewohnheiten:

  • wir bekennen unsere Angst vor allem Fremden,
  • wir bekennen, daß wir uns Angst machen lassen, daß wir uns unter Druck setzen lassen, weil wir nicht genügend Bescheid wissen.

Ach, Herr, es ist so vieles, was nicht in Ordnung ist in unserem Leben.

Obwohl wir Dein Wort hören, sind wir doch so oft taub: Herr, öffne unsere Ohren und hilf unserem Unglauben, damit wir stärker glauben lernen und Augen haben für die Not der anderen.

Amen


Gebet

Herr, hilf uns, die Hilferufe der Flüchtlinge zu hören und ernst zu nehmen. Wir bitten Dich, für die Flüchtlinge, hilf ihnen und gib uns die Kraft, dabei Dein Werkzeug zu sein.

Wir bitten Dich, hilf, daß wir Fremdes nicht mehr als Trennendes erleben, sondern, daß der Fremde in uns einen Mitmenschen findet.

Wir bitten Dich, Herr, hilf, daß der Fremdling in uns einen Bruder, eine Schwester findet und er uns als Bruder und Schwester annehmen kann; hilf uns allen, Dein Ebenbild auch im Fremden zu erkennen.

Herr, wir bitten Dich, laß Deine Kraft wirken, daß wir unsere Angst überwinden.

Herr, hilf uns, daß wir uns nicht unter Druck setzen lassen, sondern die Kraft finden, aus unserer Gleichgültigkeit herauszukommen.

Herr, wir bitten Dich, hilf uns, unsere Feindbilder abzubauen und der Verteufelung und dem Rassismus zu widerstehen.

Herr, mach uns bereit, daß wir die Flüchtlinge bei uns aufnehmen, daß sie eine Heimat bei uns finden, solange sie es brauchen.

Amen

Sündenbekenntnis und Gebet wurden bei einem Gottesdienst der E.v. Kirchengemeinde Hochdahl (Rheinische Landeskirche) gehalten.


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