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TAG DES FLÜCHTLINGS 1990

Aussiedler, Übersiedler, Flüchtlinge:
die gleiche Betroffenheit

Zunehmend werden Asylsuchende, Aus- oder Übersiedler von einheimischen Deutschen abgelehnt. Erfahrungen von Richard Wagner, einem Aussiedler, erinnern an ähnliche Berichte von Asylsuchenden. Aber auch zwischen den einzelnen Gruppen gibt es starke Abneigungen und Rivalitäten. Nehmen Sie sich dieser Thematik an. Führen Sie Veranstaltungen durch. Aussiedler, Übersiedler und Asylsuchende dürfen nicht gegeneinander ausgespielt werden.

Erfahrungen eines Aussiedlers

„Im Warteraum Marienfelde wurde leise polnisch gesprochen. Auf einem Tischchen in der Ecke lagen zerfledderte Illustrierte und Boulevardzeitungen. Die Tür ging auf, und eine Nummer wurde gerufen, und dann saßen Sabine und Stirner einem Bekannten, einem alten Mann, gegenüber.

Die Namen, sagte der Mann. Zu wem sind Sie ausgereist. Ihre Übernahmegenehmigung. Ach Sie sind das.

Der Mann lehnte sich zurück.

Ich habe am Samstag Ihr Interview im Radio mit großer Aufmerksamkeit verfolgt, sagte er.

Weil Sie ja mein Buchstabe sind, sagte der Mann.

Ich glaube nicht, sagte er, daß Sie den Vertriebenenausweis bekommen werden. Sie sind nicht ausdrücklich als Deutscher verfolgt gewesen.

Wenn Sie das, was Sie auf deutsch geschrieben haben, auf rumänisch geschrieben hätten, wären Sie doch genauso verfolgt worden, sagte der Mann. Ja, sagte Stirner.

Wie können Sie, sagte Sabine.

Stirner legte die Hand auf ihren Arm. Gehen Sie also zur Ausländerpolizei in der Puttkammerstraße und suchen Sie um politisches Asyl nach, sagte der Mann. Und geben Sie vorläufig keine politischen Erklärungen mehr ab.

Vielleicht händigen Sie uns trotzdem die Anträge aus, sagte Stirner.

Ich glaube nicht, daß Sie den Vertriebenenausweis erhalten, sagte der Mann und reichte die Formulare über den Tisch“…

„Ich betrete einen Zeitungsladen. Ich sehe die Zeitungen, die ich gerne hätte, nicht. Der Verkäufer hat einen strengen Blick. Ich müßte nach der Zeitung, die ich lesen will, fragen. Aber sie liegt nicht aus, und ich weiß nicht so recht, wie ich danach

fragen soll. Ich drehe mich um und verlasse wortlos den Laden. Hinter mir ist die scharfe Stimme des Verkäufers: Nicht einmal grüßen können die. Die Stimme des Verkäufers ist so laut, daß ich unwillkürlich schneller gehe. Ich blicke nicht zurück, ich halte meine Tasche fest. Darin sind die Anträge für den Vertriebenenausweis.

Stirner stand auf dem hell erleuchteten Gang, an die Wand gelehnt. Es war kein Platz mehr frei. Die Leute saßen nebeneinander, Stuhl an Stuhl, die Laufzettel in der Hand, redeten leise, verständigten sich. Stirner horchte auf die fremde Sprache, polnisch.

Ein Beamter erschien in der Tür. Sprechen Sie deutsch, fragte er.

Setzen Sie sich wieder, ich spreche kein polnisch, sagte er scharf. Der Nächste bitte.

Stirner stand an die Wand gelehnt und blickte auf die unscheinbare Tür. Zimmernummer.

Er blickte schon die ganze Zeit über die Tür, aber er sah sie nicht. Seine Gedanken waren weg, sie waren in jenem anderen Land, das er vor ein paar Tagen erst verlassen hatte.

Das Land war fern, es war nah.

Stirner sah auf die Tür, und ersah den Aufkleber. Ich nix verstehn, ich Deutscher, las er“…

„Steuerzahlerchauvinismus, sagte er. Er begegnete dieser Haltung immer wieder. Überall hörte er sie „Wir“ sagen, wir, die Steuerzahler. Sie redeten vom Geleisteten und davon, daß die alle bleiben sollten, wo sie sind. Die Ausländer, die Aussiedler, und die in der DDR sollten in ihrem eigenen Dreck ersticken. Haben es nicht besser verdient. Keinen Augenblick dachten sie daran, daß es auch ihnen hätte passieren können, östlich der Elbe geboren worden zu sein. Deutschland hatte sich vor die Elbe zurückgezogen. In ihm gab der kleine Herrenmensch von der Straße den Ton an. Er war wieder wer, und er wollte es bleiben.

Ich nix verstehn. Ich Deutscher. Er sah wieder den Aufkleber an der Bürotür im Durchgangslager. Er sah wieder den hünenhaften, bärtigen Beamten vor sich, und er sagte: Nazi. Er sagte es aus Überzeugung. Keine Trauer war da, nur Wut. Er sah sich schon Parolen sprühen. Er lächelte müde.“

aus: Richard Wagner, Begrüßungsgeld, Luchterhand Literaturverlag, 1989

Über positive Erfahrungen
in der evangelischen Kirchengemeinde Rheinböllen

Ja, Fremde sind alle diese Gruppen in unserer Gesellschaft. Sie haben Probleme mit den Schulen, den Ärzten, den Kindergärten usw. In vielen Dingen des täglichen Lebens bedürfen diese Menschen unserer Hilfe.

Ich möchte Ihnen von meiner Kirchengemeinde erzählen und wie wir versuchen, eine aktive Integration zu erreichen: Wir (ein Arbeitskreis für Asyl) sehen die Notwendigkeit, ein regelmäßiges Treffen für ausländische Mitbürger, Flüchtlinge, Deutsche und natürlich auch Aus und Übersiedler einzurichten. Wir stellten die Idee im Presbyterium vor und die Kirchengemeinde stellt uns einmal pro Woche einen Raum zur Verfügung.

So entstand der TREFF, ein Treffpunkt für Deutsche und Ausländer. Montags von 17.30-19.00 Uhr treffen wir uns. Es gibt kein festes Programm. Wir trinken türkischen Tee und sprechen über Probleme und Problemchen. Meistens werden Papiere mitgebracht, die die Leute nicht verstehen. Wir helfen durch Erklärungen und Ausfüllen sowie Dolmetschen usw. Wir feiern auch zusammen und, was sehr wichtig ist, verabreden Aktionen für kirchliche Gemeindefeste und kommunale Feste. Im vergangenen Jahr haben die TREFF Teilnehmer ein Wochenende zusammen verbracht. Das war eine sehr gute Erfahrung, wir haben zusammen gekocht, gespielt und am Lagerfeuer gesungen und getanzt.

Doch TREFF bietet noch mehr -z. B. die Sprach- und Hausaufgabenhilfe. In der Hausaufgabenhilfe unterrichtet ein DDR-Übersiedler junge türkische Mädchen und Jungen sowie polnische und syrische Asylbewerberkinder. In der Sprachhilfe für Erwachsene ist eine polnische Aussiedlerin engagiert und unterrichtet Menschen aus den verschiedensten Ländern.

Ein weiteres Angebot ist Alfred’s Möbellager. Alfred bekommt z. B. einen Anruf aus einem Übergangswohnheim für Aussiedler, daß eine Familie eine Wohnung gefunden hat, aber keine Möbel zur Verfügung stehen. Ob Alfred helfen könne … ? Er kann – aber er macht das nicht alleine. Ein türkischer Asylbewerber und zwei äthiopische junge Männer helfen ihm selbstverständlich dabei. D. h. sie bringen die von uns gesammelten Möbel zu der Familie und helfen beim Aufbau. Übrigens wird für die Asylbewerher diese Stundenzahl als gemeinnützige zusätzliche Arbeit vom Sozialamt anerkannt und vergütet. Selbstverständlich sind die Möbel auch für neu zugezogene Flüchtlinge zugänglich.

Die TREFF-Leute empfinden starke Solidarität untereinander und helfen sich ohne Ansehen von Nationalität, Religion und Status. Sie kommen aus Ghana, der Türkei, Iran, Äthiopien, Polen, Sowjetunion, DDR, Marokko, Syrien. Die Solidarität zeigt sich auch in weitergehenden Schritten. Kommen „neue“ Leute bei uns an, gleich ob Flüchtling, Gastarbeiter oder Aus- und Übersiedler, erfahren dies die bereits „Etablierten“ sehr schnell und bringen sie mit zum TREFF. Oder sie helfen gemeinsam, eine Wohnung zu tapezieren.

Erwähnenswert finde ich auch, daß die TREFF-Leute mich oft begleiten, wenn ich in Kirchengemeinden und Gruppen Vorträge über die „Fremden“ halte, das Ausländergesetz vorstelle oder von den Schwierigkeiten und Problemen der Menschen in unserem Land erzähle. Gerne berichten sie dann über ihre Situation im Heimatland etc.

Rita Behrens, Ausländerbeauftragte des Kirchenkreises Simmern-Trarbach.

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