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Presseerklärung
10. September 1998

Ausgewiesener Kurde in der Türkei misshandelt

Hüsni Almaz droht mehrjährige Gefängnisstrafe
PRO ASYL und Niedersächsischer Flüchtlingsrat:
Wie viele „außergewöhnlicher Einzelfälle“ brauchen deutsche Minister, um eine Konsequenz zu ziehen?

PRO ASYL und dem Niedersächsischen Flüchtlingsrat liegt der aktuelle Fall eines kurdischen Flüchtlings vor, dessen Asylantrag von deutschen Behörden und Gerichten abgelehnt worden ist und der nach seiner Ausweisung in die Türkei misshandelt und inhaftiert wurde.

Am 9. März 1998 hatte Einzelrichter Niermann vom Verwaltungsgericht Osnabrück die politischen Aktivitäten des 27-jährigen Hüsni Almaz in seiner negativen Asylentscheidung (AZ.: 5 A 794/97) als unbedeutend bewertet. Es sei, so der Richter, „in hohem Maße unwahrscheinlich“, dass Kurden aufgrund ihrer Teilnahme an Kurdendemonstrationen und Veranstaltungen oder aufgrund von Interviews, die vom kurdischen Fernsehen MED-TV ausgestrahlt werden, eine politische Verfolgung drohe. Eine solche Gefahr gebe es nur bei „herausgehobenen Funktionsträgern“.

Richter Niermann ließ sich in dieser Einschätzung auch nicht durch die Zeugenaussage eines anderen kurdischen Flüchtlings beirren, der bestätigte, dass nach der Ausstrahlung eines ersten Interviews mit MED-TV im April 1997 Soldaten bei der Mutter von Hüsni Almaz erschienen waren, sie misshandelt und ihr mehrere Zähne ausgeschlagen hatten. Selbst wenn man dem Zeugen Glauben schenke, so der Richter, sei doch nicht auszuschließen, „daß die Mutter des Klägers … aus anderen Gründen Gewaltmaßnahmen der örtlichen Sicherheitskräfte augesetzt war, wie es nach den Erfahrungen der Kammer in zahlreichen Fällen in den Notstandsprovinzen der Osttürkei vorkommt.“

Hüsni Almaz sollte am 5. März 1998 vom Landkreis Emsland abgeschoben werden, tauchte jedoch zunächst unter und wurde zur Fahndung ausgeschrieben. Ohne Arbeitsmöglichkeiten und ohne soziale Unterstützung konnte er in Deutschland nicht überleben. Zwei Monate später wandte er sich daher über einen Mittelsmann an die Ausländerbehörde, die ihn zur Rückkehr am 5. Juni 1998 verpflichtete. Almaz konnte zunächst unbehelligt in die Türkei einreisen und fuhr weiter in sein Dorf Surekli im Landkreis Kiziltepe.

Am Samstag, dem 19. Juli 1998, wurde Almaz in Bozok bei Derik von der Gendarmerie festgenommen. Laut Protokoll geht diese Festnahme auf einen anonymen Hinweis zurück. Almaz wurde auf die Wache in Derik gebracht und dort intensiv nach seinen Aktivitäten für die PKK in Deutschland befragt. In seiner Beschwerde gegen den Haftbeschluss beschreibt Almaz, dass er mit verbundenen Augen verhört und dabei schwer misshandelt worden sei. Unter der Folter habe er ein Geständnis unterschreiben müssen, wonach er in Deutschland die PKK unterstützt habe. Ihm sei auch gedroht worden, man werde ihn wieder auf die Wache bringen, wenn er vor dem Amtsgericht seine Aussage zurücknehme.

Ausweislich des Vernehmungsprotokolls beim Amtsgericht Derik/Türkei (Gesch.Nr.: 1998/17) wurde gegen Almaz von der Staatsanwaltschaft Derik am 20. Juli 1998 ein Ermittlungsverfahren wegen „Hilfeleistung und Unterstützung der illegalen Terrororganisation PKK“ unter der Geschäftsnummer der Staatsanwaltschaft 1998/140 eingeleitet. Ein Haftbefehl wurde beantragt. Nach einer Vernehmung des Kurden traf das Amtsgericht folgende Entscheidung: „Aufgrund der Eigenschaft der gegen den Angeklagten erhobenen Vorwürfe und der Schwere der Schuld – da sie bei Verurteilung mit schwerer Freiheitsstrafe bedroht ist – ist der Angeklagte aufgrund § 104 tStGB in Untersuchungshaft zu nehmen …“ (Übersetzung: Niedersächsischer Flüchtlingsrat)

Im Gefängnis von Derik widerrief Almaz einen Tag später sein Geständnis. Dennoch bleibt er in Haft. Aufgrund des politischen Hintergrunds wurde das Verfahren mittlerweile dem Staatssicherheitsgericht in Diyarbakir übertragen. Die Anklageschrift vom 10. August 1998 wirft Almaz vor, er habe in Deutschland für die PKK demonstriert und plakatiert sowie an PKK-Veranstaltungen teilgenommen. Dies sei nach dem tStGB – §§ 169, 81, 40 in Verbindung mit §5 des türkischen Antiterrorgesetzes strafbar. Im Falle einer Verurteilung droht Almaz eine mehrjährige Gefängnisstrafe. Das Verfahren vor dem Staatssicherheitsgericht in Diyarbakir ist nun für den 29. September 1998 terminiert.

PRO ASYL und der Niedersächsische Flüchtlingsrat reagieren auf den Fall Almaz mit Empörung. Mehr noch als die Verwaltungsgerichte versagten die verantwortlichen Politiker von Bund und Ländern, die immer wieder dokumentierte Fälle von Inhaftierungen und Misshandlungen aus Deutschland ausgewiesener Flüchtlinge als „außergewöhn-liche Einzelfälle“ bagatellisierten und achselzuckend zur Kenntnis nähmen, ohne irgendwelche Konsequenzen zu ziehen. „Wie viele dieser ‚außergewöhnlichen Einzelfälle‘ braucht es noch, bis die Herren Innenminister sich bequemen, einen Abschiebungsstopp zu verhängen?“, fragt der Vorsitzende des Niedersächsischen Flüchtlingsrates, Dr. Matthias Lange. PRO ASYL Sprecher Heiko Kauffmann: „Eine Politik, die die Abschiebungsmaschinerie trotz ständiger Berichte über die Folterungen abgeschobener Flüchtlinge nach ihrer Ankunft in die Türkei einfach weiter laufen läßt, macht sich selbst mitschuldig an Menschenrechtsverletzungen.“


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