Kampagne
AUFRUF
Verfolgte Frauen schützen!
Unterschriftenaktion erfolgreich abgeschlossen!
100.000 haben sich daran beteiligt.
Konferenz der Frauenministerinnen untersützte Forderungen
Am 19. März 1999 wurden die Unterschriften
der Bundestagsvizepräsidentin Antje Vollmer übergeben.
- »Ich mußte dann in ein Polizeifahrzeug einsteigen … unterwegs hat mich dieser Polizist vergewaltigt, ich konnte mich aufgrund meiner Handschellen nicht dagegen wehren.« Dies berichtete eine Albanerin aus dem Kosova im Asylverfahren. Doch ihr Asylantrag wurde abgelehnt: Dies sei eine »bloße Belästigung«, keine politische Verfolgung.
- Eine alleinstehende Lehrerin mit Kindern zwangen die Taliban-Milizen in Afghanistan im Jahre 1996, ihren Beruf aufzugeben. Auch sie scheiterte im Asylverfahren. Denn »es könne nicht Aufgabe der bundesdeutschen Asylbehörden sein, die religiösen Gebräuche und Gepflogenheiten anderer Länder zu kritisieren«.
- Dies sind keine Einzelfälle. Frauen sind in spezifischer Weise Menschenrechts- verletzungen ausgesetzt. Frauenspe zifische Fluchtgründe werden im Asylverfahren jedoch nur ungenügend berücksichtigt. Die Verfolgung von Frauen wird allzuoft bagatellisiert oder als »nicht politisch« eingestuft.
- Auf europäischer Ebene hat die Bundesregierung eine noch engere Auslegung der Genfer Flüchtlingskonvention mit durchgesetzt: Nur die Flüchtlinge, die Opfer von staatlicher oder staatlich geduldeter Verfolgung sind, sollen als politisch verfolgt gelten.
- Für Frauen wird es künftig noch schwerer werden, Asyl zu erhalten. Um so wichtiger sind Schutzregelungen im Ausländergesetz.
- Die Abgeordneten des Deutschen Bundestages, die Bundesregierung und die Regierungen der Bundesländer fordern wir mit unserer Unterschrift auf, verfolgten Frauen in Deutschland Schutz zu geben. Vorhandene Gesetze sind so auszulegen, daß Frauen im Falle geschlechtsspezifischer Verfolgung Asyl gewährt wird. Im Ausländergesetz muß klargestellt werden, daß auch eine Verfolgung aus geschlechtsspezifischen Gründen ein Abschiebungshindernis darstellt.
Dieser Aufruf wurde erarbeitet von: Deutscher Frauenrat und PRO ASYL
in Zusammenarbeit mit: AWO Bundesverband · Deutscher Caritasverband, Abt. Migration · Deutscher Paritätischer Wohlfahrtsverband · DGB Bundesvorstand, Referat Migration · Diakonisches Werk der Ev. Kirche in Deutschland · Ev. Frauenarbeit in Deutschland · Ev. Kirche im Rheinland · Interkultureller Beauftragter der Ev. Kirche in Hessen und Nassau · IN VIA Kath. Mädchensozialarbeit Deutscher Verband · Kath. Deutscher Frauenbund · Kath. Frauengemeinschaft Deutschlands · Projektgruppe »Frauen und Menschenrechte« der Deutschen Kommission Justitia et Pax · Verband binationaler Familien und Partnerschaften (iaf)
FLUGBLATT
Verfolgte Frauen schützen!
Zwei Jahre lang war Frau I. Präsidentin der Müttersektion einer Oppositionspartei in Zaire. Sie organisierte Versammlungen und Demonstrationen. Nach einer gegen den Diktator Der Einzelfall zähltMobutu gerichteten Demonstration wurde sie im Oktober 1994 verhaftet und ins Gefängnis der Sicherheitspolizei gebracht. Ihr Mann wurde ermordet. Frau I. erzählt:
»Dann schlugen sie mich, bis ich ohnmächtig wurde. Sie gossen mir Wasser ins Gesicht, damit ich aufwachte und warfen mich in einen Raum, wo schon andere Frauen waren. Sie sagten mir, ich solle nur warten, bis die Nacht komme. Am nächsten Morgen waren wir nur noch zehn – drei Frauen hatten die Soldaten umgebracht. Wir wurden geschlagen und vergewaltigt.«
Frau I. gelang unter großen Schwierigkeiten die Flucht nach Deutschland. Im Dezember 1994 wurde sie in Freiburg angehört. Der Übersetzer war ein Zairer, die Bediensteten des Bundesamtes allesamt Männer. Ihr Asylantrag wurde abgelehnt, weil sie nichts sagte. Die Scheu, die Demütigung offenzulegen, war zu groß.
Gibt es einmal eine positive Entscheidung, die anerkennt, daß Frauen im konkreten Fall zumindest des Schutzes für Leib und Leben bedürfen, so klagt der Bundesbeauftragte für Asylangelegenheiten nicht selten dagegen. Ein Beispiel:
Eine junge Marokkanerin soll zwangsverheiratet werden. Sie entzieht sich dem Druck ihrer Familie und geht mit einem Algerier nach Deutschland, von dem sie ein Kind bekommt, ohne mit ihm verheiratet zu sein. Familienangehörige drohen ihr deshalb für den Fall der Rückkehr nach Marokko den Tod an. Staatliche Unterstützung für sich und ihr Kind hat sie in Marokko nicht zu erwarten. Das Bundesamt für die Anerkennung ausländischer Flüchtlinge lehnt zwar den Asylantrag ab, stellt aber fest, daß Abschiebeschutz gewährt werden muß, weil der Frau bei ihrer Rückkehr nach Marokko konkrete Gefahr für Leib und Leben drohen würde. Denn der marokkanische Staat stellt sich bei Übergriffen von Familienangehörigen wegen einer Verletzung der Familienehre nicht schützend vor betroffene Frauen. Der Bundesbeauftragte für Asylangelegenheiten erhebt Anfechtungsklage gegen die Entscheidung.
Warum fliehen Frauen?
Frauen werden aus den verschiedensten Gründen verfolgt:
- Wo immer Frauen selbst politisch, etwa in Oppositionsgruppen und Befreiungsbewegungen, aktiv sind, droht ihnen die Verfolgung wegen ihrer politischen Aktivität, häufig durch die Anwendung von sexueller Gewalt.
- Wo Regime politische Gegner verfolgen, werden Frauen in die Verfolgung einbezogen oder unter Druck gesetzt, um der Gesuchten habhaft zu werden.
- Wo immer ethnische, religiöse oder andere Minderheiten vertrieben oder ausgelöscht werden sollen, werden häufig Frauen gezielt verfolgt. Der Gruppe soll ihre Schutzunfähigkeit demonstriert, mit Vergewaltigungen die Identität bzw. die Existenz der Gruppe getroffen werden.
- Frauen werden zum Teil auch unmittelbar aufgrund ihres Geschlechtes diskriminiert und verfolgt. So werden sie oft grausam bestraft, wenn sie tatsächlich oder angeblich die in bestimmten Staaten nur für Frauen geltenden Regeln, wie Bekleidungs- und Verhaltensvorschriften, übertreten haben. Frauen werden in vielen Staaten Opfer von Praktiken, die nicht direkt vom jeweiligen Staat durchgeführt, aber teilweise gesetzlich geschützt oder zumindest geduldet werden. Hierzu gehören genitale Verstümmelungen, Zwangsverheiratungen, Kinderehen, Mitgiftmorde und Tötungen von Frauen mit der Begründung, auf diese Weise werde die Familienehre wiederhergestellt.
Kein Asyl in Deutschland
Viele dieser Frauen erhalten dennoch kein Asyl. Sie werden mit ihren spezifischen Verfolgungserlebnissen im bundesdeutschen Asylverfahren allzu häufig abgelehnt. Der Hauptgrund liegt darin, daß die Gewalt gegen Frauen als nicht-»politisch« und damit als asylunerheblich bezeichnet wird, sowie in den Ausschlußmechanismen, die von der Asylrechtsprechung entwickelt wurden, aber auch in fehlendem Problembewußtsein und mangelnder Sensibilität der mit Asylentscheidungen befaßten Personen und Institutionen.
Wie die Entscheidungspraxis der Behörden und Gerichte das Asylverfahren häufig zum Hindernislauf macht, zeigen die folgenden Beispiele. Fünf Hürden sind es, die im Asylverfahren überwunden werden müssen.
1. Überzogene Anforderungen an die Glaubhaftmachung
Asylgründe und Verfolgungstatbestände müssen glaubhaft gemacht werden. Hierfür wird von den Gerichten als erforderlich angesehen, daß Asylbewerber/innen ihr Verfolgungsschicksal vom ersten Tag an gegenüber allen Entscheidungsträgern möglichst ausführlich, anschaulich und bis ins Detail identisch vortragen. Dies wird auch von den Frauen erwartet, obwohl offenbar sein müßte, daß eine Frau die erlittenen Demütigungen und Mißhandlungen, die meist ihren Intimbereich berühren, nicht »anschaulich und detailliert erzählen« kann, schon gar nicht gegenüber fremden Männern.
Frauen wird in vielen Fällen ihr Verfolgungsschicksal nicht geglaubt.
Eine Armenierin aus der Türkei schildert beim Bundesamt Bedrohungen und Übergriffe gegen sich selbst und Familienangehörige aus den Jahren 1976 bis 1991:
»1979 wurde ich von den gleichen Leuten … in Gegenwart meines Bruders vergewaltigt. Daraufhin gingen wir zur Polizei … Danach wurde ich zu einem staatlichen Arzt geschickt … Er hat bestätigt, daß ich vergewaltigt wurde. Berichte über meine Vergewaltigung und den Tod meines Vaters können bei der Polizeistation … angefordert werden … Im Jahre 1991, als mein Mann geschlagen wurde, habe ich auch einen Fußtritt bekommen, wodurch ich mein sieben Monate altes Baby verlor.«;
Entscheidung des Bundesamtes: »Ganz abgesehen davon ist der diesbezügliche Sachvortrag zu unsubstantiiert und deshalb für eine Glaubhaftmachung nicht geeignet … Sollte die Antragstellerin … tatsächlich einen Fußtritt bekommen und dadurch ihr Baby verloren haben, würde es sich auch hierbei um einen Übergriff privater Dritter gehandelt haben, für die eine asylrechtliche Verantwortlichkeit des türkischen Staates nicht festgestellt werden kann.«; (AZ: D 1209514-163)
2. Asylerhebliche Schwelle
Asylrechtlich relevant sind nur »schwere« Rechtgutverletzungen. Bei frauenspezifischen Verfolgungshandlungen fehlt oft das Bewußtsein und Einfühlungsvermögen.
Eine Albanerin aus dem Kosovo:
Vortrag in der Anhörung: »Ich mußte dann in ein Polizeifahrzeug einsteigen … Unterwegs hat mich dieser Polizist vergewaltigt. Ich konnte mich aufgrund meiner Handschellen nicht dagegen wehren … Nachdem ich von dem Polizisten mißbraucht wurde, wurde ich schwanger.«;
Entscheidung des Bundesamtes: »Im vorliegenden Fall wurde die Schwelle, die bloße Belästigungen von der politischen Verfolgung trennt, jedoch nicht überschritten … Nicht entscheidend ist, wie jemand – hier die Antragstellerin – eine objektiv asylunerhebliche Maßnahme subjektiv empfindet.« (AZ: B 1984057-138)
3. Verfolgung muß »politisch« sein
Eine Verfolgung wird dann als politisch bewertet, wenn jemand wegen seiner Rasse, Religion, Nationalität, Zugehörigkeit zu einer sozialen Gruppe oder wegen seiner politischen Überzeugung Verfolgungsmaßnahmen ausgesetzt ist.
Die meisten Gerichte verneinen, daß die Verfolgungshandlungen gegenüber Frauen an ein asylerhebliches Merkmal anknüpfen.
Frauen beispielsweise im Iran:
Der Bayerische Verwaltungsgerichtshof vertritt in ständiger Rechtsprechung die Auffassung, daß körperliche Mißhandlungen, z.B. Auspeitschung, wegen des Verstoßes gegen Bekleidungsvorschriften nur dann asylrechtlich relevante Verfolgungsmaßnahmen darstellen, wenn darin eine regimefeindliche politische Haltung zum Ausdruck kommt, wobei die Frau den Eindruck einer »politisch aktiven und konsequenten Regimegegnerin überzeugend vermitteln muß«.
Noch problematischer sind Bescheide des Bundesamtes und Gerichtsentscheidungen zu Afghanistan: Eine ehemalige Lehrerin aus Afghanistan und ihre Kinder werden im Asylverfahren abgelehnt. Die Frau hatte angegeben, daß sie in Afghanistan ohne männlichen Schutz gewesen sei und in ihrer Wohnung wie in einem Gefängnis gelebt habe, nachdem die Taliban-Milizen sie gezwungen hätten, ihren Beruf als Lehrerin aufzugeben.
Das Bundesamt:
»Die Anordnung der Taliban, daß die Frauen keiner Berufstätigkeit nachgehen und das Haus nur in Begleitung eines Mannes verlassen dürfen (stellt) mitnichten politische Verfolgung (dar), sondern allein eine Umsetzung der Regeln des heiligen Buches des Islam, des Koran, dar. Es kann nicht Aufgabe der bundesdeutschen Asylbehörden sein, die religiösen Gebräuche und Gepflogenheiten anderer Länder zu kritisieren. Dies gilt um so mehr, als sich die Antragstellerin selbst als gute Muselmanin bezeichnet hat, von der zu erwarten ist, daß sie die Regeln des Koran einzuhalten bereit ist.«; (AZ: 2166805-423)
So wird das Politische als nicht politisch interpretiert. Es wird verkannt, daß die menschenrechtswidrige Bedrohung von Frauen, denen für die Verletzung beispielsweise des Arbeitsverbotes oder der Kleiderordnungen hohe Strafen drohen, ein religiös verbrämter Machtmißbrauch ist.
4. Verfolgung muß vom Staat ausgehen oder diesem zurechenbar sein
Frauenspezifische Verfolgungen werden, wie im folgenden Beispiel dargestellt, meist als private Übergriffe durch Dritte bewertet, auch wenn die Verfolger ihre Stellung als Amtsperson mißbrauchen und/oder der Staat die Verfolgungen stillschweigend duldet und den erforderlichen Schutz versagt.
Ein Beispiel:
Der Asylantrag einer Marktfrau aus Zaire, die an einer Demonstration teilgenommen hatte und nach ihren Angaben bei ihrer Festnahme durch Soldaten vom vorgesetzten Offizier mit vorgehaltener Waffe vergewaltigt wurde, wurde vom Bundesamt abgelehnt mit der Begründung, daß der Offizier nicht als Vertreter einer staatlichen Behörde aufgetreten sei. »Vielmehr hat er sich – bei Wahrunterstellung des Vorbringens der Antragstellerin – privat belustigt. Diese von der Antragstellerin vorgebrachten Beeinträchtigungen stellen ausschließlich Übergriffe privater Dritter dar.«;(AZ: A 1910420-246)
5. Erneute Verfolgungsgefahr im Falle der Rückkehr
Im Falle der Rückkehr muß die Gefahr der erneuten Verfolgung vorhanden sein. Soweit z.B. eine Vergewaltigung überhaupt als Verfolgung bewertet wird, wird regelmäßig die Gefahr der Wiederholung verneint. Es wird verkannt, daß Frauen, die frauenspezifische Verfolgungen erlitten haben, in vielen Fällen aus Sicht ihrer Religion, ihrer Ethnie Schande über sich und ihre Familien gebracht haben und nach einem rigiden Sittenkodex verstoßen werden. Diese Frauen verlieren in der Folge den Schutz ihrer Familie oder Gruppe und müssen weitere Übergriffe befürchten.
Die Praxis in anderen Ländern
Weiter als Deutschland sind die angelsächsischen Überseestaaten. Führend auf diesem Gebiet ist Kanada. Der Präzedenzfall betraf eine saudi-arabische Staatsangehörige. Sie wurde im Heimatland wegen ihrer feministischen Einstellung und ihres Liberalismus bestraft und mit dem Tode bedroht. Ihr Asylgesuch wurde in Kanada zunächst mit der Argumentation abgelehnt, die Betroffene habe sich, wie alle Frauen in Saudi-Arabien, an die nationalen Gesetze und landesüblichen Gepflogenheiten zu halten. Zum internationalen Frauentag 1993 wurden Richtlinien zu frauenspezifischen Verfolgungen erlassen, die für die Entscheiderinnen und Entscheider der kanadischen Einwanderungs- und Flüchtlingsbehörde IRB gelten. Festgelegt werden Kriterien, die bei der Prüfung von Schutzbegehren von Flüchtlingsfrauen angewandt werden sollen, die frauenspezifische Verfolgung geltend machen. Als Maßstab für die Bewertung der erlittenen Rechtsverletzung werden in Kanada die internationalen Menschenrechtsabkommen umfassender berücksichtigt.
So prüft man etwa eine Verletzung von Artikel 3 (Recht auf Leben, Freiheit, körperliche Unversehrtheit) bzw. Artikel 5 (Verbot der Folter oder grausamer, unmenschlicher oder erniedrigender Behandlung) der Allgemeinen Erklärung der Menschenrechte. Sexuelle Gewalt wird als eine Form von Folter bewertet. Auch das höchste kanadische Gericht hat in den letzten Jahren bemerkenswerte Entscheidungen zu frauenspezifischen Aspekten des Asyls getroffen und unter anderem entschieden, daß beide Geschlechter die Möglichkeit haben, sich bei der Darlegung erlittener Folter auf ein asylerhebliches Merkmal, nämlich die Zugehörigkeit zu einer sozialen Gruppe, zu berufen. Denn Geschlecht und sexuelle Orientierung seien unveräußerliche Merkmale und grundlegend für die menschliche Würde.
In der Folge haben IRB und Gerichte in den letzten Jahren bemerkenswerte Einzelentscheidungen getroffen: Im Fall somalischer Frauen wurde Schutz gewährt gegen drohende genitale Verstümmelung, ebenfalls im Fall einer Chinesin, die wegen Nichtbefolgung der Ein-Kind-Politik der Regierung von Repressalien bedroht war. Auch die Zwangsheirat mit einem gewalttätigen Ehemann wurde in einem Fall als Verfolgung gewertet, in dem deutlich gemacht werden konnte, daß der Schutz des Staates in ihrem Heimatland nicht zu erlangen war. Das Gericht fand ebenso einfache wie deutliche Worte: Die Tatsache, daß manche Formen der Gewalt gegen Frauen weit verbreitet sind, bedeute nicht, daß sie grundsätzlich keine Verfolgungsmaßnahmen darstellen können. Gewalt gegen Frauen ist also nach diesem Rechtsverständnis selbst in ihren intimen Formen nicht Privatsache.
Eine ähnliche Entwicklung fand auch in anderen Staaten wie den USA, Australien und Neuseeland statt. In Neuseeland kommt es generell auf die Urheberschaft der Verfolgung von Frauen nicht an.
Es wird allein darauf abgestellt, ob ge-gen Verfolgungsmaßnahmen staatlicher Schutz erlangt werden kann.
Die Diskussion in Deutschland
Angestoßen von der Diskussion auf europäischer Ebene, insbesondere Entschließungen des Europäischen Parlamentes aus den 80er Jahren zur Problematik der geschlechtsspezifischen Verfolgung von Frauen, gelangte das Thema mehrmals auf die Tagesordnung des Deutschen Bundestages.
Am 2. November 1988 hat die Bundesregierung in ihrer Antwort auf eine große Anfrage zum Thema Menschenrechtsverletzungen an Frauen (Bundestagsdrucksache 11/3250/neu) behauptet, auch in Deutschland schließe die Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichtes nicht aus, daß eine Verfolgung wegen anderer als der in der Genfer Flüchtlingskonvention ausdrücklich genannten Merkmale als asylbegründend angesehen werden könnte. Deshalb gebe es »kein sachliches Bedürfnis« für die Bundesregierung, sich für eine Erweiterung des Flüchtlingsbegriffs der Genfer Flüchtlingskonvention um den Verfolgungsgrund »Geschlecht« einzusetzen.
Daß die Bundesregierung jedoch eine sehr enge Interpretation der Genfer Flüchtlingskonvention bzw. des deutschen Asylrechtes bevorzugt, wird in einer Antwort auf eine kleine Anfrage vom 3. Juli 1992 (Bundestagsdrucksache 12/3015) dargestellt. Dort heißt es, daß sexuelle Gewalt gegen Frauen nur dann als Asylgrund in Betracht kommen könne, wenn sie in dem Staat zurechenbarerweise von staatlichen Organen oder von Dritten, gegen die der Staat die ihm an sich verfügbaren Machtmittel nicht einsetzt, ausgeübt wird.
Am 9. März 1989 hat eine fraktionsübergreifende Initiative von mehr als 60 weiblichen Abgeordneten einen Entschließungsantrag im Deutschen Bundestag eingebracht, in dem ein besserer Schutz von Frauen gefordert wird. In dem Antrag heißt es unter anderem:
»Frauen sind in spezifischer Weise Menschenrechtsverletzungen ausgesetzt. Dies zeigt sich insbesondere bei der Behandlung von weiblichen und männlichen Gefangenen in Verhör- und Haftsituationen. Frauen werden ›doppelt verfolgt‹: Als faktische oder vermeintliche Gegnerinnen des jeweiligen politischen Systems oder als Angehörige verfolgter sozialer und kultureller Gruppen sind sie während Verhören, Polizeigewahrsam und Haft oft auch Opfer sexistischer Erniedrigung, sexueller Übergriffe und Vergewaltigung…«
Die Bundesregierung wird aufgefordert,
- klarzustellen, daß wegen ihres Geschlechts oder wegen ihrer sexuellen Orientierung Verfolgte, also auch in Bedrängnis geratende Frauen in der Bundesrepublik Deutschland Aufnahme finden;
- sicherzustellen, daß dem Bundesamt für die Anerkennung ausländischer Flüchtlinge zusätzliche Informatio-nen zu geschlechtsspezifischen Verfolgungen von Frauen für die Beurteilung der Asylgesuche von Frauen zur Verfügung gestellt werden, insbesondere über gesellschaftliche Folgen sexueller Gewalt an Frauen sowie Erkenntnisse über Verfolgungen wegen Übertretens gesellschaftlicher, kultureller und religiöser Normen in einigen Ländern;
- der speziellen Situation von Frauen bei der Durchführung von Asylverfahren Rechnung zu tragen, insbesondere die Voraussetzungen zu verbessern, daß die Anhörung asylsuchender Frauen beim Bundesamt für die Anerkennung ausländischer Flüchtlinge grundsätzlich durch weibliche Bedienstete (Anhörerinnen und Dolmetscherinnen) durchgeführt wird.«
Der Antrag wurde im Deutschen Bundestag einstimmig angenommen (Sitzung vom 31.10.1990).
Keiner der Bestandteile dieses Beschlusses ist bislang in die Praxis umgesetzt worden.
Im Gegenteil: Auf europäischer Ebene setzt sich die Bundesregierung für eine enge Auslegung des Flüchtlingsbegriffs der Genfer Flüchtlingskonvention ein. Eine Harmonisierung findet auf dem kleinsten gemeinsamen Nenner statt. Nur die Flüchtlinge, die Opfer staatlicher oder staatlich geduldeter Verfolgung sind, sollen eine Chance auf den Flüchtlingsstatus haben. Zu befürchten ist, daß eine solche Interpretation in der Praxis Frauen träfe, die zum Beispiel vor genitalen Verstümmelungen, Zwangsverheiratungen u.a. fliehen, solange nur der Herkunftsstaat offiziell behauptet, er dulde solche Praktiken nicht.
Behauptet wird immer wieder, dem Bundesamt für die Anerkennung ausländischer Flüchtlinge würden inzwischen zusätzliche Informationen zur geschlechtsspezifischen Verfolgung in bestimmten Ländern, insbesondere von seiten des Auswärtigen Amtes zur Verfügung gestellt. Tatsächlich findet sich ein entsprechendes Stichwort in den Mustergliederungen für die Lageberichte, die die deutschen Auslandsvertretungen für das Auswärtige Amt vorlegen. Liest man sich solche Berichte durch, so zeigt sich: Es mangelt offensichtlich an Sensibilität für das Thema. In den meisten Fällen werden dürftige Pflichtübungen abgeliefert, denen ersichtlich weder Interesse noch Recherche zu grunde liegen. In anderen Fällen wird gar einfach behauptet, geschlechtsspezifische Verfolgungstatbestän- de gebe es in dem jeweiligen Land nicht.
Die Bundesregierung muß endlich den Stand der Diskussion in der internationalen Öffentlichkeit zur Kenntnis nehmen und die erforderlichen Konsequenzen ziehen: Der Bundesaußenminister ist in der Pflicht, sein Bekenntnis zur Universalität der Menschenrechte auch dadurch zu bekräftigen, daß die Berichte deutscher Auslandsvertretungen mögliche Gefährdungen von Frauen durch Menschenrechtsverletzungen detailliert benennen.
Auch das Bundesamt für die Anerkennung ausländischer Flüchtlinge und sein Dienstherr, der Bundesinnenminister, haben sich in den sechs seit dem Beschluß des Deutschen Bundestages vergangenen Jahren kaum bemüht, der speziellen Situation von Frauen im Asylverfahren Rechnung zu tragen, obwohl es erste Ansätze zu Fortbildungsveranstaltungen zu dieser Thematik gibt. So ist nicht einmal die Forderung des Bundestages umgesetzt, daß die Anhörung asylsuchender Frauen beim Bundesamt grundsätzlich durch weibliche Bedienstete durchgeführt wird.
Als Ergebnis der Weltfrauenkonferenz von Peking hatte sich die Bundesregierung in der »Erklärung und Aktionsplattform von Beijing« vom 15. September 1995 zur »Gewährleistung des Zugangs zu besonders ausgebildeten Beamten, namentlich auch Beamtinnen, die Frauen zu peinlichen oder schmerzlichen Erfahrungen, wie etwa unzüchtigen Handlungen, befragen können«, verpflichtet. Zwar gibt es inzwischen eine entsprechende Dienstanweisung im Bundesamt. Rechtsanwälte und Flüchtlingsberatungsstellen, die regelmäßig Anhörungsprotokolle lesen, wissen aber, daß die Anhörung durch weibliche Bedienstete nach wie vor eine Ausnahme ist. Denn die betroffenen Flüchtlingsfrauen werden vor der Anhörung keineswegs verständlich über die Möglichkeit belehrt, sich von Frauen anhören und dolmetschen zu lassen.
Was ist zu tun?
Die Arbeitsgruppe 8 des Deutschen Vorbereitungskomitees zur vierten Weltfrauenkonferenz 1995 hat Vorschläge zur Verbesserung der Lage von asylsuchenden Frauen in Deutschland gemacht. Bezugnehmend auf diese erheben wir folgende Forderungen:
- Verfolgte Frauen müssen in Deutschland Schutz finden.
- Die vorhandenen Gesetze müssen so ausgelegt werden, daß Frauen im Fal-le geschlechtsspezifischer Verfolgung auch Asyl oder Abschiebeschutz nach der Genfer Flüchtlingskonvention gewährt wird.
- Der Gesetzgeber wird aufgefordert, in § 51 AuslG klarzustellen, daß auch eine Verfolgung aus »geschlechtsspezifischen Gründen« ein asylrechtliches Abschiebungshindernis darstellt.
- Der Bundesinnenminister ist aufgefordert, von seiner Weisungsbefugnis im Bereich des §53 AuslG gegenüber dem Bundesamt insoweit Gebrauch zu machen, als dieses angewiesen wird, sexuelle Übergriffe als Abschiebungshindernis im Sinne von § 53 AuslG zu akzeptieren, wenn und solange im Herkunftsstaat die gesellschaftliche Realität ein Leben in Würde der Frau nicht erwarten läßt. Alleinstehende Frauen, die ohne familiären Schutz nach einer Rückkehr Anfeindungen und Übergriffen ausgesetzt wären, dürfen nicht abgeschoben werden. Ein besonderer Abschiebungsschutz muß auch für Frauen greifen, die in der Bundesrepublik Deutschland Opfer von sexueller Gewalt geworden sind und deshalb den Schutz ihrer Familie im Herkunftsland verloren haben.
- Der Bundesinnenminister wird aufgefordert, über den Bundesbeauftragten durch die Einlegung von Rechtsmitteln dafür Sorge zu tragen, daß in der Rechtsprechung eine geschlechtsspezifische Verfolgung als Asylgrund anerkannt wird.
- Bund und Länder sind aufgefordert zu prüfen, inwieweit Abschiebungsschutzregelungen für Gruppen verfolgter Frauen nötig sind, und diese ggf. zu beschließen.
Die Länder sind aufgefordert, durch entsprechende Weisungen an die Ausländerbehörden klarzustellen, daß auch im Einzelfall sexuelle Übergriffe ein Abschiebungshindernis darstellen können und daß der Hinweis auf die allgemeine Unterdrückung von Frauen im Herkunftsland kein den Schutz ausschließendes Merkmal ist, sondern im Gegenteil ein Indiz dafür, daß Menschenrechtsverletzungen vom Staat gebilligt oder zumindest nicht unterbunden werden.
- Entscheiderinnen und Entscheider des Bundesamtes müssen verstärkt ausgebildet werden, um mit den spezifischen Problemen von Frauen im Verfahren umgehen zu können. Es wird empfohlen, Richtlinien zu erarbeiten, die es Befragerinnen und Befragern ermöglichen, das Vorliegen geschlechtsspezifischer Verfolgung zu erkennen. Frauen sollen auf Wunsch durch Anhörerinnen und Dolmetscherinnen und auf Wunsch auch getrennt von ihren Ehepartnern befragt werden. Sofern Anhaltspunkte für eine Traumatisierung vorliegen, muß mit besonderer Sorgfalt und Rücksichtnahme (z.B. durch eine Verschiebung der Anhörung, Hinzuziehung einer Psychologin o.ä.) vorgegangen werden. Es sollte ihnen die Möglichkeit gegeben werden, frauenspezifische Fluchtgründe auch nach der Anhörung noch vorzubringen, ohne daß dies als sogenanntes »gesteigertes Vorbringen«, das zur Asylablehnung führt, gewertet wird.
- Es wird empfohlen, ähnlich der Initiativen der Schweiz und Kanadas, eine Darstellung der aktuellen Situation der Berücksichtigung frauenspezifischer Verfolgung zu erstellen und weitergehende Vorschläge zur Verbesserung der Situation zu erarbeiten.
Der Deutsche Bundestag muß sich beim Wort nehmen lassen. Es ist nicht hinnehmbar, daß einstimmige Entschließungen des Bundestages und mit Zustimmung der Bundesregierung ergangene Beschlüsse des Exekutivausschusses des UNHCR sowie Erklärungen des Europäischen Parlamentes über Jahre hinweg ignoriert werden. Wir fordern die Abgeordneten des Bundestages auf, die Umsetzung der einstimmig angenommenen Entschließung vom 31. Oktober 1990 endlich einzufordern. Bürger sollten die Abgeordneten und die Regierung deshalb an das Notwendige erinnern.
Wir bitten Sie:
- Sprechen Sie mit Ihrer/Ihrem lokalen Bundestagsabgeordneten über das Thema und fordern Sie zu Aktivitäten auf.
- Unterschreiben Sie den Aufruf »Verfolgte Frauen schützen!« und geben Sie ihn weiter.
- Machen Sie das Thema zum Gegenstand von Veranstaltungen zum internationalen Frauentag am 8.März, dem Antirassismustag der Vereinten Nationen am 21. März, dem Flüchtlingstag am 3. Oktober oder dem Tag der Menschenrechte am 10. Dezember 1997.
Deutscher Frauenrat und Förderverein PRO ASYL e.V.
in Zusammenarbeit mit: AWO Bundesverband · Deutscher Caritasverband, Abt. Migration · Deutscher Paritätischer Wohlfahrtsverband · DGB Bundesvorstand, Referat Migration · Diakonisches Werk der Ev. Kirche in Deutschland · Ev. Frauenarbeit in Deutschland · Ev. Kirche im Rheinland · Interkultureller Beauftragter der Ev. Kirche in Hessen und Nassau · IN VIA Kath. Mädchensozialarbeit Deutscher Verband · Kath. Deutscher Frauenbund · Kath. Frauengemeinschaft Deutschlands · Projektgruppe »Frauen und Menschenrechte« der Deutschen Kommission Justitia et Pax · Verband binationaler Familien und Partnerschaften (iaf)
Veröffentlicht im März 1997
Mit freundlicher Unterstützung der Europäischen Kommission
Bestelladresse: PRO ASYL · Postfach 160624 · 60069 Frankfurt/M.
Unkostenbeitrag: DM 0,30/Exemplar.