25.06.1998
Asylbewerberleistungsgesetz:
Politiker erwecken falschen Eindruck in der Öffentlichkeit
Auch Kriegs- und Bürgerkriegsflüchtlinge von Leistungskürzung
und -verweigerung erheblich betroffen
PRO ASYL: „Per Gesetz legitimierte Ausgrenzung“
Pro Asyl kritisiert neues Asylbewerberleistungsgesetz – AP vom 25.06.1998
Als „per Gesetz legitimierte Ausgrenzung“ bezeichnete der Sprecher von PRO ASYL Heiko Kauffmann, das am Vormittag von der Koalition und Teilen der SPD verabschiedete Asylbewerberleistungsgesetz. Das Gesetz sei Ausdruck einer „Ausländer-raus-Politik mit den Mitteln des Sozialhilferechts“. Der sozialpolitische Grundkonsens in der Bundesrepublik Deutschland, daß Hilfsbedürftigen ein Leben in Würde ermöglicht werden soll, werde vollends verlassen. Weitaus schlimmer als jedes Wahlergebnis der extremen Rechten sei es, wenn ihr Gedankengut von den großen Parteien umgesetzt werde, sagte Kauffmann.
Entgegen dem in der Öffentlichkeit von Politikerinnen und Politikern weit verbreiteten Eindruck werden auch (Bürger)kriegsflüchtlinge durch die Neuregelung des Asylbewerberleistungsgesetzes in erheblichem Ausmaß betroffen sein. Das Gesetz sieht vor, daß die Leistungen für Ausländerinnen und Ausländer, die angeblich eingereist sind, „um Leistungen nach diesem Gesetz zu erlangen“, auf ein Niveau in der Nähe von Null reduziert werden können. Eine solche „Um-zu-Regelung“ war bisher schon Bestandteil des Bundessozialhilfegesetzes. Ursprüngliche Intention für die Gesetzesinitiative des Landes Berlin, die der Beginn des jetzt zu Ende gehenden chaotischen Gesetzgebungsverfahrens war, war die Übertragung dieser Regelung vom BSHG in das Asylbewerberleistungsgesetz.
PRO ASYL kritisiert, daß die Behauptung von Politikerinnen und Politikern, es solle nur eine Rechtsangleichung erzielt werden und im übrigen habe diese Regelung nie die große Bedeutung erlangt, von der jetzt gesprochen werde, einfach falsch ist. PRO ASYL sind insbesondere aus den Jahren 1993/94 eine ganze Reihe von Fällen bekannt, in denen Sozialämter auch Kriegsflüchtlingen aus Bosnien-Herzegowina unter Hinweis auf die sogenannte „Um-zu-Regelung“ die Sozialhilfe verweigert haben. Betroffen waren vor allem Flüchtlinge, die über einen Drittstaat nach Deutschland eingereist waren, obgleich sie zum Teil durchaus Duldungen besaßen. So habe etwa der Hessische Verwaltungsgerichtshof die Verweigerung der Sozialhilfe für Kriegsflüchtlinge aus Bosnien, die sich auf ihrer Flucht zwei Monate in Slowenien aufgehalten hatten und schließlich in Deutschland geduldet wurden, für Rechtens erklärt, weil die Betreffenden angeblich eingereist seien, um Sozialhilfe zu erlangen (AZ.: VGH 9 TG 2902/93). Flüchtlingsinitiativen hatten solche Rechtsprechungspraxis damals als Übertragung der ausländerrechtlichen Drittstaatenregelung ins Sozialhilferecht kritisiert.
Von viel größerer Bedeutung als die letztlich unterschiedliche Rechtsprechungspraxis in dieser Frage sei es jedoch gewesen, daß die Sozialbehörden von der „Um-zu-Regelung“ exzessiv Gebrauch gemacht hätten. Nur wenige der während des Verfahrens weitgehend mittellosen Flüchtlinge hätten den Gang zum Gericht angetreten. PRO ASYL befürchtet, daß genau dies bei Inkrafttreten des neuen Asylbewerberleistungsgesetzes in noch größerem Umfang geschieht und Sozialämter Leistungen kürzen oder unter Hinweis darauf verweigern würden, daß die weitere Anwesenheit von Kriegsflüchtlingen zeige, daß es ihnen um den Bezug von Sozialhilfe gehe. Daß die Betroffenen in einem Monate dauernden Eilverfahren vor dem Verwaltungsgericht vielleicht Erfolg hätten, mindere nicht die Effizienz dieser Generalklausel.
„Der psychische Druck auf Kriegsflüchtlinge, endlich auszureisen, wird mit diesem Gesetz noch weiter erhöht“, sagte Kauffmann.
„Gerade vor dem Hintergrund der deutschen Geschichte ist die deutsche Politik zu besonderer Sehschärfe verpflichtet, wenn es um die Entstehung staatlich legitimierter Ausgrenzung geht“.
PRO ASYL ruft Kirchengemeinden, Wohlfahrtsverbände und Initiativgruppen auf, in den kommenden Monaten Flüchtlingen zur Seite zu stehen und sie bei Klagen gegen die Leistungskürzungen zu unterstützen.