Asylbewerber sollen vorsprechen
Bonn will jetzt mit Stimmanalysen
die Herkunft ermitteln
Frankfurter Rundschau (Seite 1)
Von Beat Leuthardt
BASEL/BONN, 31. Oktober. Mit einer neuen Methode will das Bundesinnenministerium die Staatsangehörigkeit von Asylbewerbern herausfinden. Das geht aus einem Vermerk im Entwurf zum nächsten Bundeshaushalt hervor, der der FR auszugsweise vorliegt. „Eine flächendeckende Sprach- und Textanalyse“ solle künftig dazu dienen, „im Zweifelsfall die tatsächliche Herkunft der Antragsteller bestimmen zu können“, heißt es darin. Dies betreffe Asylsuchende, die „ihre wahre Herkunft zu verschleiern“ suchten, „um sich bessere Anerkennungschancen zu verschaffen“.
Bonn will für das Verfahren 2,4 Millionen Mark bereitstellen. Damit sollen 4000 solcher wissenschaftlichen Analysen im Wert von jeweils 600 Mark finanziert werden. Das Projekt basiere auf „dem Vorbild des Schweizer Bundesamtes für Flüchtlinge“, heißt es im Entwurf weiter. Ein Sprecher des Bundesinnenministeriums bestätigte der FR auf Anfrage, daß im Haushaltsentwurf Mittel für einen „Testlauf“ eingestellt worden seien. Geplant sei, vor allem „afrikanische Asylsuchende“ genauer zu überprüfen. Weitere Angaben lehnte der Sprecher ab.
Im Schweizer Bundesamt für Flüchtlinge ist für solche Gutachten die im Frühjahr gegründete Fachstelle „Lingua“ zuständig. Sie setzt seit Juni 1997 Sprachexperten ein, darunter Professoren aus halb Europa und selbst aus dem Fluchtstaat Algerien. Mit „ethnographischer Linguistik“ haben diese Experten seither in 172 Fällen Sprache und/oder Länderkenntnisse von Asylsuchenden analysiert. Diese Menschen hätten sie in rund 94 Prozent aller Fälle „mit Sicherheit“ oder „mit überwiegender Wahrscheinlichkeit“ einem bestimmten Herkunftsstaat zuordnen können, heißt es in Bern.
Die Schweizerische Ethnologische Gesellschaft hat sich von der Methode mittlerweile ebenso vehement distanziert wie Vertreter von Hilfswerken. Die deutsche Arbeitsgemeinschaft für Flüchtlinge „Pro Asyl“ kritisiert, es handle sich um „hohe Kosten für wissenschaftlich zweifelhafte Ergebnisse“. Wer glaube, „mit Sicherheit“ von Sprachphänomenen auf die Staatsangehörigkeit eines Menschen schließen zu können, so Geschäftsführer Günter Burkhardt, „betreibt Kaffeesatzlesen“. Burkhardt befürchtet, daß Bonn die zusätzlichen Ausgaben von 2,4 Millionen Mark „nachträglich durch ebenso zweifelhafte Abschiebebescheide in ein angebliches Herkunftsland rechtfertigen“ müsse. „Pro Asyl“ liegen zu der Methode nach eigener Darstellung kritische Stellungnahmen aus der juristischen Fakultät der Universität Stockholm und des niederländischen Flüchtlingswerks vor.