TAG DES FLÜCHTLINGS 1991
Asyl im Nationaltheater in Weimar
INHALT
ZUR DISKUSSION GESTELLT
- Um die Menschenrechte der Amseln ist es schlecht bestellt – zur Flüchtlingskonzeption der Bundesregierung
- Resignation ist keine Alternative: Zu den Ursachen des internationalen Flüchtlingsproblems
- Die Erweiterung des Flüchtlingsbegriffs
- Kinderrechte im Schatten des Krieges
- Die psychischen Folgen von Sammellagern
- Harmonisierungsmaßnahmen von Asylpolitik und Asylrecht innerhalb EG-Europas
- Flüchtlinge in Europa
BEISPIELE UND ANREGUNGEN
- Bausteine für einen Gottesdienst
- Unterbringung von Flüchtlingen durch kirchliche Wohnprojekte
- Aufruf zum Gutscheinumtausch in Recklinghausen
- Wir wollen hier bleiben – Roma-Brief an Rau
- Wo Einheimische und Fremde zueinander finden – das positive Beispiel Reinhardshagen
- Feste feiern mit jungen Aussiedlern
- Die Bundesregierung zur Aussiedlerthematik
- Asyl im Nationaltheater in Weimar
- Keine Abschiebung in die Türkei! Aktionen in Bayern
- Arbeitsgemeinschaft christlicher Kirchen in Bayern
- Arbeitskreis Flüchtlinge in Sachsen gegründet
- Demonstration für mehr Bewegungsfreiheit
- Wir haben Platz im Boot – Plakataktion gegen Fremdenfeindlichkeit
Für viele Menschen – in der ganzen Welt – verbindet sich die Bedeutung der Stadt Weimar mit dem Namen großer Persönlichkeiten wie Goethe, Schiller, Herder oder Liszt. Das Wort Weimar wird aber auch in Verbindung gebracht mit dem Lager Buchenwald. Ist dieser Kontrast nicht symbolisch für die Atmosphäre dieser Stadt? Es gibt kaum eine andere Stadt in Deutschland mit einer solchen Weltaufgeschlossenheit und Weltoffenheit wie Weimar; und doch steht Weimar. andererseits – und wohl nicht ganz zu Unrecht – im Ruf von Ausländerfeindlichkeit. Diese einzigartige Polarität ist durchaus keine Erscheinung nur unserer Zeit; Äußerungen vieler berühmterLeute aus anderen Jahrhunderten bezeugen ja ähnliches.
Das muß man wissen; und von dieser realen Einschätzung aus muß die Arbeit des Teams des Ausländerbeauftragten beim Magistrat der Stadt Weimar beginnen.
So müssen wir also in erster Linie bei unserer Bevölkerung um Verständnis für die Ausländer und die damit verbundene Problematik werben. Das ist nicht immer leicht. Es gibt viele Vorurteile, aber auch Ängste, die man geduldig abbauen muß. Die gegenwärtige Lage der Stadt – mit noch über viertausend Wohnungssuchenden und ständig steigender Arbeitslosenzahl – kommt als erschwerender Faktor hinzu.
Wichtigster Ansatzpunkt sind hier die Schulen; die Zusammenarbeit mit ihnen – und dem Schulamt – liegt uns sehr am Herzen.
So wurde im Foyer des Deutschen Nationaltheaters (DNT), in der Stätte, wo 1919 die Weimarer Republik proklamiert wurde! – eine Ausstellung unter dem Titel: „Stell Dir vor Du mußt flüchten, und siehst überall: Ausländer raus!“ gezeigt.
Zu dieser Ausstellung kamen auf unsere Einladung hin 40 Schulklassen; für uns ein guter Anlaß, mit Schülern und Lehrern ins Gespräch zu kommen. Die Gespräche haben gezeigt, wie wenig unsere jungen Menschen über die Flüchtlinge und derenNöte wissen. Die Reaktionen waren sehr unterschiedlich. Von Betroffenheit, dem Wunsch sofort zu helfen bis hin zum Schweigen oder Ablehnung. Erste Folge dieses Besuches waren Einladungen an die Mitglieder unseres Teams, in die Schulen zu kommen, um dort noch ausführlicher über die Ausländerthematik zu sprechen. Einige hier lebende Ausländer hatten sich bereit erklärt, mit hinzugehen. Diese beiderseitige Gesprächsbereitschaft möchten wir als ersten kleinen Erfolg buchen.
In diesem Zusammenhang sei das Verständnis der DNT Mitglieder hervorzuheben für unseren Wunsch, die Schüler ins Theaterhaus zu bringen; die Schüler wurden als Gäste betrachtet, auch wenn die Besuche außerplanmäßig waren und nicht selten während der Proben!
Ganz erfreulicher Weise stehen wir aber mit unserer Arbeit nicht allein. Es gibt viele Menschen hier, die trotz oft großer eigener Schwierigkeiten bereit sind, anderen Menschen zu helfen. Und das ist sehr ermutigend. Wenn wir aber aufzählen, welche Institutionen ihre Hilfe bei der Betreuung von ausländischen Mitbürgern anbieten, so müssen wir mit an erster Stelle das Deutsche Nationaltheater nennen. Die Ausstellung im Foyer wurde schon erwähnt; damit im Zusammenhang wurde ein Hearing durchgeführt. Der Schauspieler Manfred Heine, Mitglied des DNT, bot spontan an, bei dieser Veranstaltung mitzuwirken. So trug er einige Briefe von Flüchtlingen und andere Texte vor. Sowohl er als auch seine Kollegen sorgten für den würdigen Rahmen dieser Veranstaltung. Was die Veranstalter überraschte, war die rege Teilnahme der Weimarer Bürger und deren Interesse für diese Thematik.
Das DNT ist darüber hinaus bereit, den ausländischen Bürgern – auch den Kindern – das Theater hinter den „Kulissen“ zu zeigen, z. B. Bühne, Maske usw., Interessenten sollen kostenlos zu Veranstaltungen eingeladen werden. Auch für weitere Aktivitäten wie Ausstellungen, Podiumsdiskussionen usw. steht uns das DNT offen. Aktiv will sich das Theater auch an der im September stattfindenden Woche der ausländischen Mitbürger mit einem Programm beteiligen. Die Albert-Schweitzer-Gedenkstätte hat uns ebenfalls angeboten, Veranstaltungen für und mit Ausländern zu gestalten. Das gleiche betrifft die beiden Weimarer Hochschulen.
Das Kulturamt des Magistrats ist an einer fruchtbaren Zusammenarbeit mit uns interessiert; es gibt bereits gemeinsame Überlegungen zur Durchführung der Woche der ausländischen Mitbürger.
Alternativ-Galerien, einige Cafes und auch die Stadtbibliothek signalisierten Interesse an unserer Arbeit, wollen helfend dem beitragen, daß die zu uns kommenden Ausländer/innen sich tatsächlich bei uns „einbürgern“ können, daß sie sich hier wohlfühlen.
Wir selbst haben uns vorgenommen, alle neu zu uns Kommenden mit der Geschichte unserer Stadt und mit unserer Kultur bekannt zu machen und wir wollen umgekehrt ihnen die Möglichkeit geben, uns ihre Kultur vorzustellen.
21.2.1991