Presseerklärung
30. Oktober 1998
Altfallregelung für Flüchtlinge mit langjährigem Aufenthalt
Der Vorsitzende der Innenministerkonferenz prescht mit unzureichendem Vorschlag vor
PRO ASYL: Wollen Innenminister Altfallregelung
ins Leere laufen lassen?
Ruling of old cases for refugees with long-standing stay
Nur wer Geld verdient, soll bleiben (FR 5.11.1998)
Im Koalitionsvertrag zwischen den rot-grünen Koalitionspartnern in Bonn vom 21. Oktober ist vereinbart worden, daß es eine einmalige Altfallregelung für Flüchtlinge mit langjährigem Aufenthalt in Deutschland geben soll. Noch nicht einmal eine Woche war der Koalitionsvertrag alt und schon preschte der Vorsitzende der Innenministerkonferenz, der rheinland-pfälzische Innenminister Walter Zuber, vor. Er versucht durch den Vorschlag einer absolut unzureichenden Altfallregelung, die an viele Bedingungen geknüpft ist, Fakten zu schaffen.
Für die Sitzung der Innenministerkonferenz am 19. und 20. November 1998 in Bonn hat er – öffentlich verbreitet mit einer Presseerklärung vom 27. Oktober – die Altfallregelung auf die Tagesordnung gesetzt. Gleichzeitig hat er seine Vorstellungen bekanntgegeben: Lediglich diejenigen sollen ein Bleiberecht erhalten, die seit 1. Januar 1990 (Familien mit Kindern seit 1. Juli 1993) in Deutschland leben, ihren Lebensunterhalt und Krankenschutz selbständig sichern, Steuern und Sozialabgaben zahlen, über ausreichenden Wohnraum verfügen und nicht straffällig geworden sind.
PRO ASYL betrachtet Zubers Vorstoß als den Versuch, die Koalitionsvereinbarung – und das daraus resultierende Initiativrecht der Bundesregierung für eine solche Regelung – weitgehend ins Leere laufen zu lassen, indem über die Innenministerkonferenz dieser unzureichende Vorschlag eingebracht wird. PRO ASYL kritisiert den Vorschlag des rheinland-pfälzischen Innenministers aus folgenden Gründen:
- Die geforderten langen Aufenthaltszeiten in Deutschland würden den Kreis der Begünstigten sehr eng ziehen und damit bewirken, daß viele der betroffenen Flüchtlinge de facto von dieser Altfallregelung ausgeschlossen werden. Damit werde nicht der Tatsache Rechnung tragen, daß eine weitgehende Integration in vielen Fällen bereits nach kürzerer Zeit vorliege. PRO ASYL hat zusammen mit Kirchen, Gewerkschaften und Verbänden gefordert, daß bereits nach fünfjährigem Aufenthalt in Deutschland ein Bleiberecht eingeräumt werden soll.
- Neben der sehr langen Aufenthaltsdauer verlangt Innenminister Zuber u.a. die Sicherung des Lebensunterhaltes. Auch diese Hürde können viele Flüchtlinge nicht nehmen. In den letzten Jahren wurden Duldungen oft nur für kurze Zeit verlängert, auch wenn die Betroffenen faktisch nicht abgeschoben werden konnten. Kaum ein Arbeitgeber war dann bereit, Menschen einzustellen, deren Duldung nur für wenige Monate galt. „Zunächst hat man es diesen Menschen bürokratisch erschwert, selbst die Arbeit anzunehmen, für die sich keine Inländer finden. Anschließend wird dann Arbeitslosigkeit und der daraus resultierende Sozialhilfebezug zur unüberwindbaren Hürde bei der Altfallregelung“, sagte Günter Burkhardt, Geschäftsführer von PRO ASYL. Gerade größere Familien seien oft nicht in der Lage, ihren Lebensunterhalt völlig ohne Inanspruchnahme von Sozialhilfe zu bestreiten. Auch wenn mehrere Familienangehörige arbeiteten und ansonsten völlig integriert seien, komme es in der Praxis häufig vor, daß ergänzende Sozialhilfe in Anspruch genommen werden müsse.
- Es fehlt zudem eine ergänzende, die Justiz entlastende Altfallregelung. Der Anteil der Asylverfahren an der Belastung der Verwaltungsgerichte ist hoch. Klägerinnen und Kläger warten vor allem wegen der Zahl anhängiger Altverfahren oft jahrelang auf Entscheidungen. Der Vorschlag von PRO ASYL, Kirchen, Gewerkschaften und Verbänden: Ausländerinnen und Ausländer, deren Verfahren am 14. Mai 1996 (Symboldatum: Grundsatzurteil des Bundesverfassungsgerichts) bereits gerichtlich anhängig waren und es jetzt noch sind, sollten eine Aufenthaltsbefugnis erhalten.
PRO ASYL erwartet von der rot-grünen Bundesregierung, daß sie eigenständige Vorstellungen für eine Altfallregelung entwickelt und gegenüber den Ländern vertritt. Ziel einer solchen Altfallregelung muß es sein, daß die menschlichen Tragödien der Vergangenheit verhindert werden. Eine vernünftige und großzügige Altfallregelung könnte nach Auffassung von PRO ASYL gleichzeitig den Interessen der Betroffenen wie auch denen der Bundesrepublik Deutschland Rechnung tragen. Sollte jedoch die geplante Regelung durch den Versuch der Länderinnenminister, überzogene Bedingungen mit der Regelung zu verknüpfen, den Kreis der Begünstigten eng begrenzen, so werde das im Asylbereich dürftige Verhandlungsergebnis der Regierungskoalition gänzlich unterlaufen.