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04.08.1998
Frankfurter Rundschau

Von Hedwig Richter (Frankfurt a. M.)

Ahmeds Trauma und das Schnellverfahren

Die Geschichte vom Leiden eines jungen
Algeriers und vom deutschen Asylrecht


Der Fall ist kraß und gilt Fachleuten doch als typisch für das rigide deutsche Asylverfahren: Ein junger Algerier landet am Frankfurter Flughafen, schwer traumatisiert von Erlebnissen in seiner Heimat, wo Bürgerkrieg herrscht. In einem Schnellverfahren wird ihm das Recht auf Asyl abgesprochen. Nun zieht seine Anwältin vor das Verfassungsgericht.

Auf der Flucht vor Terroristen und Polizei landet Ahmed K. am 4. Juni auf dem Rhein-Main-Flughafen. Sein Vater, so erzählt er, wurde von algerischen Fundamentalisten umgebracht. Er selbst sei von der Polizei mißhandelt worden, als er von den Terroristen erzählt habe. Der Algerier, der angibt, 15 Jahre alt zu sein, bekommt eine Juristin als Vormund. Zwei Tage nach seiner Ankunft findet die Anhörung statt, an einem Samstag. Die Anwältin wird wenige Stunden vorher informiert, aber ihr Büro ist samstags geschlossen. So bleibt der Minderjährige ohne Beistand. Als „offensichtlich unbegründet“ wird sein Antrag abgelehnt. Ahmeds nächste Rechtsanwältin, Silke Born, reicht dagegen vor dem Verwaltungsgericht Klage ein.

Obwohl das Verfahren noch läuft, will der Bundesgrenzschutz (BGS) den Jungen einem algerischen Konsularvertreter vorführen, um ihm einen Paß zu beschaffen. Silke Born sieht darin eine weitere Gefährdung des Jungen und vereitelt das Vorhaben der Behörde.

Am 23. Juni lehnt die Richterin des Verwaltungsgerichts Ahmeds Antrag ab. Sie meint nachweisen zu können, daß er älter sei, als er angebe. In ihrem Beschluß beschreibt die Richterin ausführlich Widersprüche in Ahmeds Aussagen, während sie auf die von dem Jungen geschilderten Mißhandlungen kaum eingeht.

Wegen seiner dramatischen psychischen Verfassung wird Ahmed am gleichen Tag in die Kinderpsychiatrie eingewiesen. Die Ärzte diagnostizieren „akute Suizidgefahr“ und „posttraumatische Belastungsstörung“. Sie bestätigen außerdem sein angegebenes Alter und verweisen ausdrücklich auf seine Reiseunfähigkeit. Die Ärzte vermerken: „Das Hauptmerkmal dieser Störung ist die Ausbildung charakteristischer Symptome nach einem belastenden Ereignis, das außerhalb der üblichen menschlichen Erfahrungen liegt.“ Daraufhin stellte die Rechtsanwältin einen zweiten Eilantrag, um doch noch Ahmeds Einreise zu ermöglichen.

Bernd Mesovic, Mitarbeiter von Pro Asyl, hält Ahmeds Schicksal in vieler Hinsicht für einen typischen Fall: Durch detaillierte Fragen über den Fluchtweg verstricke sich der Flüchtling in Widersprüche, so daß seine Angaben zu Folter und Mißhandlung erst gar nicht untersucht würden. Außerdem seien seine Angaben über eine Doppelverfolgung durch Polizei und Terroristen durchaus plausibel. Viele Beobachter in Algerien gehen davon aus, daß der Staat oftmals mit den Fundamentalisten zusammenarbeitet.

Auch als Suizidgefährdeter ist der junge Algerier keine Ausnahme. Der Sozialdienst am Flughafen berichtet, Selbstmordversuche und „Selbstbeschädigungen“, wie es im Beamtendeutsch heißt, seien in dem oft überfüllten Transitbereich keine Seltenheit. Und die Paßbeschaffung vor einem Urteil des Verwaltungsgerichts ist beim Bundesgrenzschutz „ganz normal“, wie ein Sprecher des BGS lakonisch feststellt. Dabei machen Fachleute immer wieder darauf aufmerksam, welche Gefahr diese Paßbeschaffung für den Flüchtling und seine Familie im Herkunftsland bedeuten kann.

Das UN-Flüchtlingskommissariat UNHCR prangert ebenfalls diese Zwangsvorführung vor dem Konsulat des Heimatlandes an. Außerdem sei sowohl auf die mögliche Minderjährigkeit des Jungen als auch auf seine Traumatisierung keine Rücksicht genommen worden, kritisiert die Organisation. Beides ignoriere in eklatanter Weise die Genfer Flüchtlingskonvention.

Rechtsanwältin Born will, daß sich das Bundesverfassungsgericht zu den Verfahrensmängeln äußert. Sie hat in Karlsruhe Verfassungsbeschwerde eingereicht.


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