Frankfurter Rundschau
14.05.1998
Abschiebung „verfassungswidrig“
Pax-Christi-Kongreß fordert Fremdenfreundlichkeit
Von Ute Frings
BERLIN, 14. Mai. Die Abschiebung von ausländischen Straftätern verstößt nach Ansicht von Menschenrechtsorganisationen gegen das Grundgesetz. Sogenannte Ausländerkriminalität sei zum Freibrief für schwerste Menschenrechtsverletzungen geworden, kritisierte die katholische Friedensbewegung Pax Christi am Donnerstag in Berlin zum Auftakt des viertägigen Kongresses „Aktion Jericho – gegen Abschiebung aus oder nach der Haft“. „Wenn die Ausweisung eine humanitäre Härte bedeutet, muß sie zurückgenommen werden“, fordern die Katholiken zum 50jährigen Bestehen von Pax Christi.
In einem Grußwort betonte der Erzbischof von Berlin, Georg Kardinal Sterzinsky, es gehöre zum gesellschaftlichen Auftrag der Kirche, den Blick auf den einzelnen Menschen und sein Schicksal dort anzumahnen, wo dies nicht mehr gewährleistet sei. Ausländer tauchten in Politikerreden zunehmend als Bedrohung auf, bemängelte Heiko Kaufmann von Pro Asyl. Die Politik erzeuge ein Klima, in dem Fremde nicht mehr gelitten und Gewalt billigend in Kauf genommen würden, sagte Kaufmann. Auch dies verhelfe rechtsextremen Gruppierungen, etwa der DVU, zu Wahlerfolgen wie jüngst in Sachsen-Anhalt.
Statt Kriminalität unter dem Gesichtspunkt der sozialen und rechtlichen Situation zu beurteilen, werde sie in der öffentlichen Diskussion immer häufiger schlicht als „ethnisches Problem“ definiert, das man mit Abschiebung lösen könne. Dies sei jedoch ein Irrtum, betonte Kaufmann. Die Ursachen für Kriminalität ließen sich nicht einfach abschieben. Als einen der Verantwortlichen für die sogenannte Ausländerkriminalität nannte Kaufmann die Bundesregierung. Sie kriminalisiere die Immigranten zunehmend durch Gesetze, etwa indem sie ihnen das Existenzminimum verweigere oder legale Arbeit verbiete. Als jüngsten Höhepunkt der „Kriminalisierungskampagne“ nannte Kaufmann den Vorstoß der CSU, unbescholtene Eltern von ausländischen Straftätern des Landes zu verweisen.
Ausweisungsschutz für straffällig gewordene Ausländer existiert nach Ansicht von Traudl Vorbrodt, Mitarbeiterin der Berliner Härtefallberatung von Pax Christi, längst nicht mehr. Inzwischen würden selbst in Deutschland Geborene oder hier Aufgewachsene abgeschoben, darunter auch viele, die mit Deutschen verheiratet seien. Die Trennung eines Betroffenen von Frau und Kindern, auch Krankheit sei längst kein Abschiebehindernis mehr, ebensowenig wie die Gefahr von Folter oder Todesstrafe nach der Rückkehr.
Mit der „Aktion Jericho“ will Pax Christi an die wohlhabende antike Stadt in der Wüste erinnern, die sich von Flüchtlingen aus Ägypten abschottete, „so wie heute die Festung Europa“, heißt es in einer Kongreßzeitung. „Von ihren Zinnen werden immer mehr Schutzsuchende in eine ungewisse Zukunft und in oft lebensgefährliche Bedingungen gestürzt.“