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10.08.1998
DER SPIEGEL

Flüchtlinge

Abschiebung per Fax
Mit unangemessener Eile versucht der Grenzschutz
20 eingeschleuste Kosovo-Albaner loszuwerden,
die in Sachsen schwer verunglückt waren.


Die Schwester im Klinikum Chemnitz war äußerst reserviert. Den Ausweis, der den Besucher als Mitarbeiter des Chemnitzer Ausländerbeauftragten auswies, reichte sie erst einmal zur Prüfung an eine Beamtin des Bundesgrenzschutzes (BGS) weiter. Erst dann durfte der Sozialarbeiter ins Krankenzimmer zur frisch operierten Kosovo-Albanerin Aphrodite Mehai allerdings nur in Begleitung der Grenzschützerin. Vor der Tür hielt ein BGS-Mann Wache.

Ein richtiges Gespräch, berichtete der Sozialarbeiter seinem Chef, dem Ausländerbeauftragten Andreas Ehrlich, später, sei unter diesen ,,schockierenden“ Umständen nicht möglich gewesen.

Die schwerverletzte 21jährige aus dem jugoslawischen Bürgerkriegsgebiet ist eine in Deutschland unerwünschte Person, ihr Krankenhausaufenthalt im Amtsdeutsch ,,Sicherungsgewahrsam“. Auf dem Nachttisch lag beim Besuch des Sozialarbeiters schon das Fax mit der Abbschiebeverfügung.

Mehai kam am Donnerstag vorvergangener Woche über die Tschechische Republik nach Deutschland illegal, eingepfercht zwischen 26 Landsleuten, im Laderaum eines Mercedes-Transporters, der wahrend einer waghalsigen Flucht vor dem BGS im sächsischen Weißenborn verunglückte (SPIEGEL 32/1998). 7 Kosovo-Albaner starben, 20 weitere wurden teilweise schwer verletzt.

Die Überlebenden der Tragödie möchte der Bundesgrenzschutz so schnell wie möglich loswerden. In Deutschland werden sie nur solange geduldet, bis sie transportfähig sind. Bis dahin hewachen BGS-Polizisten sie rund um die Uhr wie Schwerverbrecher. Bereits einen Tag nach dem Unfall schob der BGS den ersten Kosovo-Albaner nach Tschechien ab. Geplant war am selben Tag noch die Rückschiebung von zwei weiteren aus dem verunglückten Schleuser-Auto.

Beamte hatten Milaim Shalaku und Afran Gashi vom Krankenhaus Freiberg schon zum Grenzübergang Bahratal gebracht. Doch die tschechischen Grenzer weigerten sich, die beiden einreisen zu lassen. Begründung: Sie hätten Zweifel, oh die Verletzten überhaupt transportfähig seien. Drei Tage später übernahmen die Tschechen Shalaku und Gashi dann doch.

Zumindest im Fall von Shalaku wäre die Hast nicht unbedingt nötig gewesen. Der 21jährige hatte einen Tag nach dem Unfall Asyl in der Bundesrepublik beantragt. Zwar steht ein solcher Antrag einer Abschiebung ins sichere Drittland Tschechien formal nicht entgegen, aber das Asylverfahrensgesetz sieht ausdrücklich die Möglichkeit vor, ,,aus humanitären Gründen“ auf die Rückschiebung zu verzichten. Die Ausnahme muß allerdings das Bundesinnenministerium anordnen.

Der Münchner Rechtsanwalt Hubert Heinhold, der vier der verunglückten Kosovo-Albaner vertritt, hält die Anwendung der Ausnahmeregelung für ,,dringend geboten“. Shalaku habe noch unter Schock gestanden. Sein Cousin sei in seinen Armen bei dem Unfall gestorben.

Auch die Flüchtlingshilfsorganisation Pro Asyl appellierte an Innenminister Manfred Kanther (CDU), die Rückführung der Unfallopfer zu stoppen. ,,Nach all dem, was die Flüchtlinge mitgemacht haben“, so Pro-Asyl-Sprecher Heiko Kauffmann, ,,wäre eine Abschiebung aus dem Krankenbett heraus menschlich nicht vertretbar.“

Sogar Kanthers Parteifreund, der sächsische Ausländerbeauftragte Heiner Sandig, mahnte, ,,die menschliche Seite“ nicht außer acht zu lassen. Zwar sei eine Rückschiebung in die Tschechische Republik ,,kein Akt der Barbarei“, es müsse aber gewährleistet sein, daß die abgeschobenen Unfallopfer ihre Angehörigen, die noch in sächsischen Krankenhäusern behandelt werden, ,,jederzeit besuchen können“.

Doch selbst darauf will man sich im Hause Kanther nicht einlassen. Zu groß ist offenbar die Angst, humaner Umgang mit den Unfallopfern könnte als generelle Nachgiebigkeit gegenüber Flüchtlingen aus dem jugoslawischen Bürgerkriegsgebiet verstanden werden und weitere Menschen aus dem Kosovo anziehen. Bisher weigern sich Bund und Länder trotz immer neuer Meldungen über Massaker und blutigeVertreibungen, Menschen aus der Region als Bürgerkriegsflüchtlinge anzuerkennen. In der Bundesrepublik wohnen etwa rund 200 000 Kosovo-Albaner. Auch viele der bei Freiberg Verunglückten haben Verwandte in Deutschland.

Im Krankenhaus Freiberg, in das neun der Unfallopfer verbracht worden waren, wurden die zunächst gar nicht vorgelassen. Zum Spital in Zschopau, wo zwei der Verunglückten behandelt werden, verwehrten Grenzschützer Journalisten auf Geheiß des Bundesinnenministeriums den Zutritt. Für Freiberg erließ das Landratsamt ein offizielles Besuchsverbot, angeblich, um den ,,bedrohlichen Gesundheitszustand“ der Patienten ,,nicht weiter zu gefährden“. Immerhin war der Gesundheitszustand eines der Verletzten so stabil, daß er am selben Tag noch ausführlich von BGS-Beamten zum Unfallhergang und zum illegalen Grenzübertritt einvernommen wurde.

Bis zum vergangenen Freitag hatte sich der BGS 3 der insgesamt 20 Illegalen durch Abschiebung nach Tschechien entledigt. Die anderen 17 sollen folgen, sobald auch sie transportfähig sind. Bei einem zumindest könnte es länger dauern: Er liegt noch im Koma.


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