15.08.1995
Hungerstreik sudanesischer Flüchtlinae
auf dem Rhein-Main-Flughafen:
Nacht- und Nebelaktion des Bundesgrenzschutz
Flüchtlinge an unbekanntem Aufenthaltsort
Nur zwei Sudanesen durften nach Entscheidung
des Verwaltungsgerichtes einreisen
Abschiebung droht trotz schwerster Gesundheitsgefährdung
Der Bundesgrenzschutz hat die Sudanesen im Morgengrauen an einen bislang nicht in Erfahrung zu bringenden Ort außerhalb des Flüchtlingsgebäudes C 182 im Transit des Flughafens gebracht. Die Aktion des Bundesgrenzschutzes, die auf eine bevorstehende Abschiebung deuten könnte, wurde offensichtlich absichtlich nach Dienstschluß des Flughafensozialdienstes durchgeführt.
Der Flughafensozialdienst hatte dem Bundesgrenzschutz noch gestern Abend ein psychologisches Gutachten eines Kölner Diplom-Psychologen übermittelt, der die Flüchtlinge in den vergangenen Tagen untersucht hat. In dem Gutachten wird darauf hingewiesen, daß eine zwangsweise Zurückführung in den Verfolgerstaat mit Sicherheit zu einer erneuten schweren Traumatisierung führe, die nicht mehr therapeutisch bearbeitbar und damit irreparabel sei. Bei allen sieben abgelehnten Sudanesen bestehe akute Suizidgefahr.
Vor diesem Hintergrund bewertet PRO ASYL das Vorgehen des Bundesgrenzschutzes als unverantwortlich. Es müsse jedoch davon ausgegangen werden, daß das Bundesinnenministerium grünes Licht gegeben habe.
Lediglich zwei von neun sudanesischen Flüchtlingen, die sich im Transitbereich des Frankfurter Flughafens befinden, hat das VG Frankfurt gestern die Einreise erlaubt. In den anderen Fällen bestätigte die Einzelrichterin der zuständigen Kammer, Frau Loizides, die Zurückweisungsentscheidungen des Bundesamtes für die Anerkennung ausländischer Flüchtlinge.
Nach einer ersten Durchsicht der maßgeblichen Entscheidungsgründe zeigte sich die bundesweite Arbeitsgemeinschaft für Flüchtlinge PRO ASYL schockiert darüber, daß das Gericht sich mit der mangelhaften Sachverhaltsaufklärung des Bundesamtes kaum auseinandergesetzt hat. Es sei tragisch, daß sich unter den Abgelehnten gerade diejenigen Flüchtlinge befänden, die mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit im Sudan bereits einmal gefoltert worden seien.
„Die Richterin hat die Frage der Folter und der daraus notwendig entstehenden Abschiebungshindernisse weiträumig umgangen. Mit dem Zweifel, was aus den Menschen wird, wird sie leben müssen. Gewissen jedenfalls läßt sich nicht einfach abschieben“, erklärte PRO ASYL-Sprecher Heiko Kauffmann heute früh.
PRO ASYL finanziert in mehreren Fällen die heute noch einzureichenden Verfassungsbeschwerden. Ordnet das Bundesverfassungsgericht die aufschiebende Wirkung nicht an, so könnten die Sudanesen bereits mit einem Lufthansa-Flug um 14.15 Uhr nach Khartoum abgeschoben werden. Sollte dies geschehen, würde sich der Bundesgrenzschutz nicht nur über das Gutachten des Psychologen hinwegsetzen. Auch ein Allgemeinmediziner hat gestern bei allen Betroffenen schwere Gesundheitsstörungen diagnostiziert. Infolge des Hunger- und teilweise Durststreiks liegen bei ihnen inzwischen schwere Elektrolytstörungen vor. Sie leiden unter Muskelkrämpfen, Kreislauf- und Sehstörungen sowie beginnenden Funktionsstörungen der Nieren. Einer der Hungerstreikenden ist zeitlich und räumlich nicht mehr orientiert und kaum noch ansprechbar.