Tag des Flüchtlings 1995:
„Gewissen läßt sich nicht einfach abschieben“
PRO ASYL: Abschiebepraxis in Deutschland
„beispiellose Obszönität des Rechtsstaates“
Unter dem Motto „Gewissen läßt sich nicht einfach abschieben“ ruft die bundesweite Arbeitsgemeinschaft für Flüchtlinge PRO ASYL zur Teilnahme am „Tag des Flüchtlings 1995“ am morgigen Freitag, den 29. September 1995, auf. Zu diesem Tag, der in diesem Jahr zum 10. Mal bundesweit begangen wird, liegen PRO ASYL Veranstaltungshinweise aus über 125 Gemeinden in der Bundesrepublik vor – so viel wie nie zuvor.
Tausende engagierten sich in Deutschland für die Rechte von Flüchtlingen. Die Politik nehme diese Bewegung bisher nicht ausreichend wahr und lasse ihre Entscheidungen von fremdenfeindlichen Parolen beeinflussen, erklärte Kauffmann, Sprecher von PRO ASYL. Er forderte Politik und Gesellschaft „zur Rückbesinnung auf die Achtung der Menschenwürde und zur Wahrung von Recht und Gerechtigkeit“ gegenüber Flüchtlingen auf, die in Deutschland Schutz und Zuflucht suchten. Nach dem Asylkompromiß und der Grundgesetzänderung 1993 seien die Flüchtlinge immer mehr aus dem für alle in Deutschland lebenden Menschen rechtlich gültigen Rahmen „herausgekippt und bewußt ausgegrenzt“ worden.
Zwei Jahre nach Inkrafttreten zeigten sich die Folgen der neuen Asylgesetze in ihrer ganzen Unmenschlichkeit und Härte. Als Beispiele dieses „Wettlaufs der Schäbigkeiten“ nannte Kauffmann die Entrechtung der Flüchtlinge im Verfahren, die mangelhafte Qualität vieler Bundesamtsentscheidungen, zynische Asylentscheidungen, die Bagatellisierung von Folter, rassistische Vorurteile auch bei Gerichten, den Teufelskreis der Unzuständigkeitserklärungen von Bund, Ländern und Behörden beim Abschiebeschutz geflohener Menschen, die organisierte Unmenschlichkeit von Abschiebungen und Abschiebungshaft.
Dies habe verheerende Folgen. Kauffmann: „Immer mehr Flüchtlinge werden in Verzweiflung, Ausweglosigkeit bis in den Tod getrieben; aber auch in der deutschen Bevölkerung werden durch diese vorurteilsbestimmte und Vorurteile begründende Politik neue Feindbilder und eine Festungsmentalität aufgebaut.“ Insgesamt nehme der Rechtsstaat schweren Schaden, wenn die Politik weiterhin mit Ignoranz und Erkenntnisverweigerung auf die zunehmenden Fluchtgründe von Menschen und komplexen Fluchtursachen in vielen Ländern der Welt reagiere.
Politik und Gesellschaft seien dringend zur Korrektur dieser fehlerhaften und die Rechtsstaatlichkeit untergrabenden Gesetze gefordert. Als Kernforderungen nannte PRO ASYL zum Tag des Flüchtlings 1995:
- Die Aussetzung der Drittstaatenregelung. Sie hat zu Kettenabschiebungen bis in die Verfolgerstaaten geführt. Nicht die Fluchtwege, die Gründe für die Flucht müssen entscheidend für die Gewährung von Asyl sein.
- Asylverfahren müssen rechtstaatlich einwandfrei ablaufen. Deshalb müssen die Fristen verlängert werden. Denn nur so können Fehlentscheidungen verhindert werden.
- Flüchtlinge aus Kriegs- und Krisengebieten dürfen nicht abgeschoben werden. Selbst der sogenannte „Asylkompromiß“ hat vorgesehen, daß sie einen gesonderten Aufenthaltsstatus erhalten. PRO ASYL fordert einen Aufenthaltsstatus für Kriegs- und Bürgerkriegsflüchtlinge außerhalb des Asylverfahrens.
- Die unverzügliche Aussetzung und Korrektur der gegenwärtigen Praxis der Abschiebungen und Abschiebehaft, die nach Auffassung von PRO ASYL verfassungswidrig ist; dies würde auch durch ein von PRO ASYL mitherausgegebenes „Gutachten zur Verfassungswidrigkeit der Abschiebehaft“ der Vereinigung Demokratischer Juristinnen und Juristen belegt.
Das wahllose, fast routinemäßige Wegsperren von unschuldigen, nicht kriminellen Menschen, die ohne Hilfe und Betreuung in ihrer Not und Verzweiflung allein gelassen würden, nannte Kauffmann eine „beispiellose Obszönität des Rechtsstaats“. Die Politik müsse schnellstens zu einer Korrektur dieses „verfassungswidrigen Freiheitsentzugs ohne Straftatbestand“ kommen. Kauffmann rief die Bevölkerung vor Ort, die mit Abschiebungen konfrontiert wird, zu Zivilcourage und Wachsamkeit gegen diese „gesetzlich legitimierte Inhumanität“ auf.