„… sehen die einschlägigen Paragraphen nicht vor“
Abgeschobene junge Vietnamesin darf trotz Fürsprache einer Lehrerin nicht mehr einreisen
Frankfurter Rundschau
Von Stephan Hebel (Berlin)
Einen „beschämenden Mangel an Zivilcourage und Menschlichkeit“ wirft Heiko Kauffmann, Sprecher der Flüchtlingshilfeorganisation Pro Asyl, den Regierenden in Berlin vor. Anlaß ist die Abschiebung der zwölfjährigen Vietnamesin Ha Phuong Nguyen und die brüske Zurückweisung aller Bemühungen um Überprüfung des Falles und Wiedereinreise des Mädchens.
Im Herbst 1995 landete Ha Phuong, damals gerade elf Jahre alt, in Berlin. Das Kind war, so stellte sich heraus, ohne Eltern bei den Großeltern aufgewachsen. Diese können, wie sie jetzt aus Vietnam berichtet, wohl nicht mehr lange für sie sorgen. Nach ihrer Abschiebung im Januar hat Ha Phuong einen Brief an die Berliner Bündnisgrünen geschrieben, die sich ihres Falles angenommen haben: „In meinem Land gibt es überhaupt keine Unterhaltshilfe für ein Kind wie mich. Die knappe Rente meiner Großeltern reicht nicht für ihre Krankenhausbesuche, Arztgänge und Medikamente … Heute leben sie noch … aber morgen gibt es sie nicht mehr ….“ Sie frage sich, fügt die inzwischen 13jährige hinzu, „ob meine Anwesenheit in Deutschland irgendeine Gefahr für andere Organisationen oder Personen bringt“.
In dem Brief steht auch: „Ich verstehe nichts von Politik.“ Über Politik aber könnte Ha Phuong viel lernen, wenn sie zu lesen bekäme, was die Verwaltung des Berliner Innensenators Jörg Schönbohm (CDU) vor kurzem an den Petitionsausschuß des Abgeordnetenhauses schrieb. Die Berliner Klassenlehrerin des Mädchens hatte um Wiedereinreise gebeten und versichert, sie werde die Betreuung übernehmen. Dieser Bitte, schrieben Schönbohms Beamte der Lehrerin, könne „schon aus Rechtsgründen nicht entsprochen werden“.
Die Begründung ist ein Bombardement bürokratischer Eindeutigkeiten und ein repräsentativer Katalog in Gesetzesform gegossener Ausländerpolitik: „Einen Zuzug von Kindern nach Deutschland zu nicht mit dem Kind verwandten Personen – wie der Petentin – sieht das Ausländergesetz in den einschlägigen Paragraphen 17ff., 29 und 31 nicht vor.“ Weiter: Für eine Aufenthaltserlaubnis sei ein „rechtmäßiger Aufenthalt von acht Jahren“ Voraussetzung. Und noch weiter: „Gegen die Annahme einer Härte spricht hier die signifikant kurze Aufenthaltsdauer in Deutschland“, schreibt dieselbe Behörde, die für die abrupte Beendigung dieses Aufenthalts federführend war. Schließlich: Das Mädchen, heißt es kaum verklausuliert, wäre zu teuer. Die „allgemeine Bereitschaft der Petentin, für das Kind aufzukommen“, reiche nicht aus. „Erwähnt sei nur, daß allein für die Unterbringung eines minderjährigen unbegleiteten Flüchtlings … Kosten von mindestens 90 DM pro Tag entstehen.“ Was die Abschiebung betrifft, ist die Reaktion der Behörde ähnlich. Zwar haben Ha Phuong und ihre Großeltern brieflich beteuert, das Mädchen sei am Flughafen in Hanoi auf sich allein gestellt gewesen. Aber Schönbohms Leute glauben lieber nicht nur der eigenen Regierung, sondern auch den Behörden im postkommunistischen Vietnam: Mitteilungen des Bonner Auswärtigen Amtes und des vietnamesischen Innenministeriums „bestätigen ausdrücklich und unzweideutig, daß Verwandte des Kindes dieses in Hanoi in Empfang genommen haben“. Selbst zu einer weiteren Überprüfung sehen die Beamten trotz entgegengesetzter Aussagen „keine Veranlassung“.
Kauffmann hat kürzlich eine Hauptstadt-Broschüre in die Hand bekommen. „Berlin hat den Bogen raus“, schreiben die Marketing-Experten. Der pro-Asyl-Sprecher regt eine Abwandlung des Mottos an: „Berlin hat den Slogan: Raus!“