08.07.1998
DEUTSCHLANDFUNK
Interview
von Hartmut Kriege mit Heiko Kauffmann, PRO ASYL
60 Jahre Flüchtlingskonferenz von Evian
Der eine Redner meinte, sein Land sei kein Einwanderungsland. Nach ihm erhob sich ein anderer, der sagte seine Heimat habe schon 200.000 Flüchtlinge aufgenommen, nun sollen erst mal andere dran. Schließlich warnte ein dritter Delegierter vor gesellschaftlicher Erschütterung, wenn sein Land weitere Flüchtlinge aufnähme. Ein Vierter sagte, sein Land könne nur Transitland sein und lasse zudem keine Flüchtlinge herein, die über ein Drittland einzureisen versuchten.
Wir berichten nicht über den deutschen Wahlkampf, auch nicht über eine Konferenz der Europäischen Union, die sich mit Bürgerkriegsflüchtlingen aus Albanien oder Jugoslawien befasst. Wir berichten nicht über das Jahr 1998, sondern über etwas ganz anderes.
Wir berichten über die Konferenz von Evian , auf der 1938 32 Staaten der Welt darüber berieten, was mit den jüdischen Flüchtlingen geschehen sollten, die Zuflucht vor Nazi-Deutschland suchten. Das ist 60 Jahre her und zu diesem Anlass hat Hartmut Kriege mit Heiko Kauffmann gesprochen, dem Pressesprecher von PRO ASYL in Frankfurt.
Herr Kauffmann, vor 60 Jahren hat der Völkerbund in Evian am Genfer See eine Konferenz abgehalten, mit dem Ziel rund ein halbe Million Menschen und zwar Juden in Europa, vor allen Dingen im Deutschen Reich und in Österreich die Ausreise in andere Länder Europas, aber auch in Übersee zu ermöglichen. Diese Konferenz scheiterte, warum ?
Die Konferenz von Evian, die ja hunderttausenden von jüdischen Flüchtlingen die Rettung bringen sollte, endete desaströs, denn es wurde offenkundig, daß keine der westlichen Demokratien die jüdischen Flüchtlinge aus Deutschland aufnehmen wollte. Es gibt dann als Folge von Evian und des Druckes der Öffentlichkeit insbesondere auch der Organisationdn der Juden in aller Welt und aber auch vieler anderer später noch einmal die Flüchtlingskonferenz auf den Bermudas am 19.4.1943, die am gleichen Tag begann, als der Aufstand im Warschauer Ghetto stattfand. Die Ergebnisse dieser Konferenz auf den Bermudas waren so mager, daß sie geheim gehalten wurden und der Ruf aus dem Warschauer Ghetto, „Rettet uns“ von den polnischen Untergrundsendern in alle Welt geschickt, blieb ungehört. Die Geschichte hat gezeigt, je grausamer der Naziterror zugeschlagen hatte, je dringlicher eine großzügige Asylgewährung in anderen Ländern wurde, umso mehr hatten die Ressentiments gegen die Flüchtlinge und Exilierten, auch in den Aufnahmeländern zugenommen. Die Stichworte, die auch heute aktuell sind, Missbrauch des Asylrechts usw., wurden auch den Naziverfolgten vorgehalten. Die Befürchtung der Zunahme des Antisemitismus, wie sie geäußert wurde von Parlamentariern, mußte in Großbritanien und den USA dazu herhalten, um die von der Vernichtung bedrohten Juden nicht ins Land zu lassen.
PRO ASYL hat mit Blick auf die 6o Jahre der Konferenz von Evian auch die Bundesrepublik daran erinnert, daß sie hier in einer besonderen Verantwortung steht.
Das ist sozusagen unsere besondere Verpflichtung. Die Dankbarkeit über die Rettung vor den Konzentrationslagern, die Lehre aus dieser eigenen Geschichte und der Wille der Verfassungseltern aus diesen Erfahrungen, neue Maßstäbe internationaler Humanität zu entwickeln, führten bei uns zur Verankerung des Asylrechts im Grundgesetz der Bundesrepulik Deutschland, und zwar zu dem subjektiven Recht auf eine großzügige Asylgewährung, wie es in den Debatten der parlamentarischen Versammlung hieß. Darin sollte ein umfassender Schutz und eine moralische Verpflichtung für Flüchtlinge und für verfolgte Minderheiten begründet sein. Es ist beschämend und geschichtsblind, daß 60 Jahre später ausgerechnet Deutschland die Federführung für eine harte Linie zur Koordination einer europäischen Abschottungspolitik an sich zieht. Deutschland ist heute der hardliner bei der Abwehr von Flüchtlingen. Herrn Kanther geht es nicht mehr darum, Flüchtlinge zu schützen, sondern darum Flucht als solche zu verhindern. Dies zeigt sich besonders in dem Versuch der EU-Innen- und Justizminister zum Beispiel der Türkei Verantwortung für Flüchtlinge kurdischer Herkunft zu übertragen, etwa durch Pläne, Auffanglager für Flüchtlinge aus dem Irak und der Nachbarregion in der Türkei zu errichten. Das geschieht trotz der fortgesetzten Menschenrechtsverstösse der Türkei gegenüber der kurdischen Bevölkerung und trotz der Hinweise des Hohen Flüchtlingskommissars, daß die Türkei weder als sicheres Asylland, noch als sog. sicherer Drittstaat angesehen werden darf.
Was fordern Sie von der Bundesregierung in Bezug auf eine Veränderung der derzeit bestehenden Verhältnisse ?
Wir meinen, wir dürfen nicht zulassen, daß heute die Gleichgültigkeit der angeblich zivilisierten Welt gegenüber den Opfern von Krieg, Verfolgung und Terror wieder ins Unermessliche steigt, weil demokratische Staaten wie die Bundesrepublik Deutschland unter dem Vorwand der Errichtung einer Sicherheitszone oder der Abwehr illegaler Einwanderung wieder Mauern aus Papier und eine quasi militärische Absicherung der Außengrenzen betreiben.
Glauben Sie, daß gerade in dieser heißen Phase des Wahlkampfes irgendeine Regierung, egal welcher Art, oder auch eine Partei willens ist, diese Konsequenzen, die sich aus Evian ergeben haben, für heute überhaupt umzusetzen und eine andere Asylpolitik zu betreiben?
Es ist ganz unterschiedlich. Im Augenblick überbieten sich die Parteien in Ressentiments, jedenfalls einige der großen Parteien, insbesondere Abgeordnete der CDU/CSU, ständig durch neue Versuche der Abwehr von Flüchtlingen eine Stimmung zu erzeugen, die – man muß fast sagen – auf Gleichklang mit den Argumenten der DVU ausgerichtet ist, wahrscheinlich auf dem Hintergrund, die Wähler dieser Partei an sich zu ziehen. Das kann aber nicht legitim sein, weil die langfristige Stimmung im Land genau weiter in Richtung Ressentiments driftet. Hier sind alle Abgeordneten gefordert, das Menschenrecht auf Asyl als ganz wichtiges Konstitutivum ihrer Politik in den Wahlkampf im kontruktivem Sinn zu integrieren.
Nun haben ja auch die Kirchen sich auf ihre Seite geschlagen, indem sie an die Politik die Forderung richten, ihre Asylpolitik zu überdenken. Vor wenigen Tagen hat die Caritas aus Sarajewo in einem ganz speziellen Fall, nämlich es geht um die Bosnien-Flüchtlinge, darauf hingewiesen, daß der Druck aus Deutschland unerträglich geworden ist und daß es auf diese Weise nicht weitergehen kann, weil vor Ort die lokalen Behörden überfordert sind, diesen Zuzug an Flüchtlingen wieder aufzunehmen.
Es ist in der Tat so, daß Deutschland der hardliner in der Formulierung und Ausgestaltung einer Politik gegen Flüchtlinge ist. Da muß sich ganz erheblich etwas ändern.
Wir haben als PRO ASYL Mindestanforderungen an ein neues Asylrecht an alle Parteien geschickt. Wir haben mit vielen Vertretern aller Parteien darüber diskutiert. Dazu gehört, daß Deutschland im Asylrecht zum völkerrechtlichen Mindeststandard zurückkehren muß, wie dieser Standard in der Genfer Flüchtlingskonvention und in der europäischen Menschenrechtskonvention festgelegt ist. Dazu gehört die Akzeptanz von nichtstaatlicher Verfolgung als Asylgrund und eine Verbesserung der Einzelfallprüfung und des Rechtsschutzes. Ich nenne weiter frauenspezifische Fluchtgründe anzuerkennen und die besondere Situation minderjähriger, unbegleiteter Kinder und Folteropfer. Bei der Abschiebungshaft muß sich Erhebliches ändern, weil dies ein Monstrum des Rechtsstaates ist. Hier haben wir wieder die Verbindung, daß die Drangsalierungen und Auflagen, denen die Naziverfolgten der dreißiger- und vierziger Jahre in ihren Asylländern ausgesetzt waren, heute an Raffinesse , an Intensität an bürokratischer Perfektion bei weitem noch übertroffen werden.